Glashaus
Obwohl ich bereit bin, es sogar kaum abwarten kann, eine Arbeit anzunehmen, finde ich die ganze Sache auch beunruhigend. In mancher Hinsicht erscheint mir diese Entscheidung unausweichlich - um Sam gegenüber meine Unabhängigkeit zu behaupten, über eine zusätzliche Einkommensquelle zu verfügen, andere Versuchsteilnehmer kennenzulernen, die hier genauso festsitzen wie ich selbst, und aus dem ewig gleichen Lebenstrott einer einsamen Hausfrau auszubrechen -, doch es gibt dabei auch bedenkliche Aspekte: Ich habe keine Ahnung, welche Tätigkeit sie mir zuweisen werden, sie wird einen großen Teil meiner Zeit beanspruchen und wahrscheinlich ebenso langweilig wie sinnlos sein. Natürlich werde ich neuen Menschen begegnen, aber ich kann ja nicht wissen, ob sie mir nicht schon auf den ersten Blick zuwider sind. Was mir ursprünglich als gute Idee erschien, belastet mich inzwischen.
Selbstverständlich kann mir der Taxifahrer da auch nicht weiterhelfen, von ihm kann ich keine Auskünfte erwarten. »Handelskammer«, sagt er irgendwann, »bitte aussteigen.« Also gehe ich auf das imposante Gebäude zu meiner Rechten zu, dessen Drehtür in Holz und Messing prangt, und hoffe nur, dass mir meine Unsicherheit nicht anzumerken ist, als ich mich an den Angestellten am Empfang wende. »Mein Name ist Reeve. Ich habe einen Termin mit Mr Harshaw ausgemacht, um … äh … zehn Uhr.«
»Gehen Sie gleich hinein, Ma’am.« Der Zombie deutet auf eine Tür in seinem Rücken, die mit einer Milchglasscheibe und goldenen Lettern versehen ist. Als ich seiner Geste folge und die Tür öffne, ist auf dem Steinfußboden das laute Klappern meiner Absätze zu hören.
»Mr Harshaw?«
Ein breiter Holzschreibtisch beherrscht den Raum. In die Platte ist ein Rechteck aus gefärbter, konservierter Haut eingelassen, die von einem großen Pflanzenfresser stammen muss. An den holzgetäfelten Wänden hängen diverse Zertifikate und primitive, gerahmte Standfotos - Gruppenaufnahmen von Männern in dunklen Anzügen, die einander die Hände schütteln. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein Mann - auch er in dunklem Anzug -, der fast schon wie ein Greis wirkt, kaum noch Haare und einen auffälligen Bauch hat. Als ich eintrete, erhebt er sich halb von seinem Stuhl und streckt eine Hand vor. Ein Zombie?, frage ich mich skeptisch.
»Hallo, Reeve«, begrüßt er mich locker und selbstbewusst. »Möchten Sie nicht Platz nehmen?«
»Gern.« Ich setze mich auf den Stuhl, der ihm gegenüber am Schreibtisch steht, schlage die Beine übereinander und mustere ihn. Unverkennbar gibt er mir Zeichen von Aufmerksamkeit: Ich merke, dass er mich beobachtet und sich meines Körpers bewusst ist, also ist er echt. Zombies sind darauf einfach nicht programmiert. »Wie kommt’s, dass ich Sie noch nicht in der Kirche gesehen habe?«, frage ich.
»Ich gehöre zum Personal«, erwidert er leichthin. »Zigarette?« Er deutet zu einer der Holzschachteln auf dem Schreibtisch hinüber.
»Danke, ich rauche nicht«, erwidere ich ein bisschen steif. Ich hasse den Geruch, aber schädlich ist das Rauchen ja nicht, oder doch?
»Sie tun gut daran.« Er greift nach einer Zigarette, zündet sie an und inhaliert gedankenvoll. »Sie haben sich gestern nach freien Stellen erkundigt. Zufällig haben wir gerade eine offene Stelle, die Ihnen zusagen könnte - ich habe mir erlaubt, Ihre Unterlagen durchzugehen -, und sie ist ausdrücklich Nichtrauchern vorbehalten.«
»Ach ja?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Mr Harshaw vom Mitarbeiterstab ist anders als erwartet, um das Mindeste zu sagen. Ich hatte mich in die Vorstellung hineingesteigert, es mit einem dummen Zombie zu tun zu bekommen, der nur als Aushängeschild für eine Datenbank offener Stellen fungiert.
»Es ist die Stadtbücherei. Sie würden nur drei Tage in der Woche arbeiten, allerdings in Elfstundenschichten. Der Vorteil liegt für Sie darin, dass man Sie dort zur Bibliothekarin ausbilden würde, der Nachteil ist das relativ niedrige Anfangsgehalt.«
»Und worin besteht die Tätigkeit?«
»In Bibliotheksarbeiten.« Er zuckt die Achseln. »Die Bücher nach einem bestimmten System einordnen und aufstellen. Die Ausleihe verwalten und verfolgen, Mahnschreiben verschicken und Bußgelder kassieren. Den Leuten dabei helfen, gesuchte Bücher und Informationen zu finden. Das Hauptmagazin verwalten, neue Titel aufnehmen und eingliedern, sobald sie hereinkommen. Sie würden unter Anleitung von Janis aus der Schar Eins arbeiten, sie ist schon
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