Glashaus
eins machen wir zu. Übrigens gibt es hier auch ein Terminal mit Zugang zum Computer der Bücherei.« Sie deutet auf ein kastenförmiges Gerät, das fast wie ein kleiner Fernseher aussieht und durch ein gewundenes Kabel mit einer Konsole voller Tasten verbunden ist.
»Die Bücherei hat einen Computer?«, frage ich neugierig. »Kann ich denn nicht einfach meine Netzverbindung benutzen?«
Janis steigt das Blut so ins Gesicht, dass ihre Wangen sich rosa färben. »Ich fürchte nicht. Sie verlangen von uns, dass wir die Computer so benutzen, wie es die Vorfahren getan hätten, samt Tastatur und Bildschirm.«
»Aber ich dachte, von diesen uralten Denkmaschinen hätte keine überlebt, höchstens in Form von nachgebauten Modellen. Woher wissen wir, wie sie aussahen?«
»Ich bin mir nicht sicher.« Janis wirkt nachdenklich. »Weißt du, dass ich das noch gar nicht bedacht habe? Ich hab keine Ahnung, woher sie das Design genommen haben! Wahrscheinlich ist es irgendwo im Protokoll des Experiments versteckt. Die nicht geheimen Teile kann man alle online abrufen, falls du nachsehen möchtest. Allerdings nicht gerade jetzt: Hör mal.« Das Wasser im Kessel brodelt. Eine Minute lang ist sie eifrig damit beschäftigt, das kochende Wasser in zwei Becher mit löslichem Kaffee zu gießen. Als sie mir den Rücken zuwendet, mustere ich sie unauffällig. Von ihrer Schwangerschaft ist noch nicht viel zu merken; höchstens ist da vielleicht eine kleine Wölbung rund um die Taille, doch ihr Kleid ist so geschnitten, dass das schwer zu sagen ist. »Als Erstes möchte ich dir zeigen, wie wir am vorderen Tresen arbeiten, in der Buchausgabe. Wir müssen verfolgen, wer welche Bücher ausgeliehen hat und wann sie zurück sein müssen. Das ist das Leichteste, damit kannst du anfangen. Also«, sie reicht mir einen Kaffeebecher, »wie viel weißt du über Bibliotheksarbeiten?«
Im Laufe des Morgens erfahre ich, dass »Bibliotheksarbeiten« ein überaus großes Gebiet des Informationsmanagements umfassen. Während der dunklen Epoche, ehe Bibliotheken sich in Gebilde der Selbstorganisation verwandelten, widmeten sich manche Menschen ihr ganzes (zugegebenermaßen kurzes) Leben lang dem theoretischen Studium der Bibliotheksverwaltung, um die Systeme zu optimieren. Weder Janis noch ich sind auch nur ansatzweise dazu qualifiziert, die Position echter Bibliothekarinnen der dunklen Epoche auszufüllen, denn diese müssen die Geheimwissenschaft von Katalogsystemen und das Vokabular zur Einordnung von Titeln in die entsprechenden Rubriken meisterhaft beherrscht haben. Dennoch sind wir durchaus fähig, die Ausleihe und die Abteilung Nachschlagewerke einer kleinen Stadtbücherei zu leiten, wenn wir ein bisschen herumhuschen und viel Geduld aufbringen. Offenbar habe ich in dieser Hinsicht von früher her bestimmte Fähigkeiten, die - anders als meine Kenntnisse im Lichtbogenschweißen - nicht alle verloren gegangen sind. Ich kann mich an das Alphabet erinnern und durchschaue unverzüglich das auf dem Dezimalsystem basierende Katalogisierungsschema. Und es leuchtet mir auch ein, dass in jede vordere Umschlagseite eine kleine Tasche eingeklebt ist, in der eine Karte steckt. Diese Karte behalten wir da, wenn das Buch ausgeliehen wird.
Erst nachmittags, nachdem insgesamt fünf Bücher zurückgebracht wurden und ein Besucher zwei Titel ausgeliehen hat (eines über die Kultur der Azteken, das andere über Pflege und Ernährung fleischfressender Pflanzen), beginne ich mich zu fragen, wieso das YFH-Gemeinwesen überhaupt etwas derart Exotisches wie eine Vollzeitbibliothekarin braucht.
»Das weiß ich auch nicht«, räumt Janis ein, während wir im Aufenthaltsraum Tee trinken und sie ihre Füße unter den klapprigen, weiß angestrichenen Holztisch streckt. »Manchmal kann es hier durchaus ein bisschen hektisch zugehen. Warte nur bis sechs, wenn sich die meisten Leute von der Arbeit auf den Heimweg machen: Da konzentrieren sich die Ausleihen. Aber eigentlich brauchten sie mich gar nicht. Auch ein Zombie könnte die Arbeit perfekt erledigen.« Sie überlegt. »Ich vermute, es geht eher darum, eine Beschäftigung für Leute zu finden, die eine verlangen. Einer der Haken an diesem Experiment ist, dass wir in keiner Volkswirtschaft mit geschlossenem Kreislauf leben. Würden die Versuchsleiter nicht ständig Jobs für Leute bereitstellen, würde hier alles auseinanderfallen. Also tun sie so, als bezahlten sie uns Gehälter, während wir so tun, als würden wir arbeiten.
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