Glashaus
Dienstgeheimnisse an die Presse verrätst, findest Du nicht?“
Becker hatte sich auf der Schreibtischkante abgestützt und funkelte Boyle zornig an.
„ Sie wird es nicht bringen ohne, dass ich es freigebe.“
„ Wer ist sie?“
„ Bellini.“
Becker fiel in seinen Stuhl zurück. Jede Kraft, die er noch gehabt hatte, schien aus ihm entwichen zu sein. Von einer Sekunde zur anderen hatte er sich in einen alten Mann verwandelt.
„ Du Gottverfluchter Scheißkerl.“
Boyle erhob sich und trat den halben Schritt zu Beckers Schreibtisch.
„ Seit fünfzehn Jahren mache ich diesen Job. Seit fünfzehn Jahren werde ich angepisst, verarscht, beleidigt und wie ein Stück Dreck behandelt. Hast DU schon mal drüber nachgedacht, dass ich genauso gut auch auf der anderen Seite stehen könnte?
Oder hast Du Färber und Saleki schon vergessen? So groß kann der Unterschied zwischen uns und den anderen nämlich nicht mehr sein, wenn wir ausgerechnet zu Premuda gehen müssen, um unseren eigenen Stall auszumisten.“
Boyles Ausbruch hatte Becker getroffen, was allerdings lange nicht hieß, dass er sich bereits geschlagen gab.
„ Du bist kein Opfer. Du zuallerletzt. Mach Dir doch nichts vor: Für die meisten Leute in diesem Land wärst Du ohne Deine Marke auf der Straße nur `n scheiß Nigger.“
Beckers Blick voll uneingestandener graugrüner Resignation traf auf Boyles kompromisslos blaue Härte.
Boyle wusste, hier und jetzt war in ihm etwas für immer zu Ende gegangen. Vielleicht hatte es einfach nur damit zu tun, dass Becker ihn als Nigger bezeichnet hatte. Vielleicht aber auch damit, dass Boyle ihn plötzlich zum ersten Mal als das zu sehen glaubte, was er wirklich war: Ein Kerl, der ein paar Mal zu oft mit den falschen Leuten aus den falschen Gründen einen faulen Kompromiss eingegangen war.
„ Was hat Bellini Dir getan, dass Du sie so sehr hasst?“
Becker schlug den Blick nieder.
„ Das ist der falsche Ansatz. Du solltest Dich besser fragen, wieso sie so dicke mit Premuda ist, dass er seit Jahren ihre Rechnungen bezahlt.“
„ Quatsch, jeder weiß doch, dass Bellini reich ist.“
Becker schüttelte den Kopf.
„ DIE Sorte Rechnungen meine ich nicht.“
Boyle erhob sich aus dem Sessel und wandte sich zur Tür. Aber Becker war noch nicht fertig mit ihm.
„ Du blöder Idiot. Wegen Deiner Scheiße darf ich wahrscheinlich in ein paar Stunden meine Bullen zu jedem verdammten Mullah, Sozialarbeiter und Gangsterboss in dieser Stadt schicken, um sie zu bitten, dafür zu sorgen, dass ihre Kids morgen Nachmittag von den Straßen wegbleiben, wenn die Nazis Kanaken raus! und Türken an die Wand! zu brüllen beginnen.“
Boyle sah sich nicht zu Becker um, sondern setzte einen Augenblick darauf seinen Weg zur Tür wortlos fort.
„ Eines garantiere ich Dir: Wenn es soweit ist, wirst DU mit Premuda reden. Und Gott sei Dir gnädig, falls Du ihn nicht dazu bringst zu spuren.“
4 / 5. 9. 2000, 00 Uhr 06 – 2 Uhr 20
00 Uhr 06. Younas hatte die Pistole aus dem Lappen gewickelt, geladen und wieder in den Mantel gesteckt. Jetzt hockte er auf dem Boden des Abstellraums und dachte nach.
Es musste einen Weg geben, diesen DJ aus der Disko heraus zu locken. Ihn hier drin zu erledigen war zu gefährlich – sowohl für ihn als auch alle anderen hier.
KLOPFEN.
Leise zwar, aber dennoch in der Stille hier nur umso deutlicher zu hören.
Younas sprang auf.
Die Tür öffnete sich.
Ein Junge, von dem im zuckenden Gegenlicht von der Tanzfläche hinter ihm nicht viel mehr als Umrisse zu erkennen waren.
„ Tonne? Hey – biste hier?“
Taschendiebe arbeiteten im Team. Der Junge in der Tür war der Partner des pummeligen Mädchens.
Younas trat aus dem Schatten, der ihn bisher vor den Blicken des Jungen verborgen hatte, richtete die Pistole auf ihn.
„ Die is nich geladen …“
„ Vielleicht. Vielleicht … nicht. Dein Risiko“
Der Junge zögerte.
„ Das is Deine Wumme, oder?“
„ Tür … zu!“
Der Junge schloss die Tür.
„ Hinlegen … neben … Mädchen …!“
Der Junge legte sich vorsichtig neben sie auf den Bauch. Younas beugte sich herab, griff nach dem rot-weißen Plastikband und fesselte ihn, wie er zuvor das Mädchen gefesselt hatte.
Younas sah auf die beiden regungslosen Gestalten zu seinen Füßen herab.
Eine Panikattacke. Schien als dauerte es Minuten das Zittern, das sie begleitete, in den Griff zu bekommen.
Vor ein paar Stunden war er losgezogen vier Jungen zu töten, die für ihn nichts
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