Glashaus
Menschliches mehr hatten, weil sie sich mit dem, was sie seiner Tochter angetan hatten, aus jeglicher menschlichen Gemeinschaft herausgelöst hatten.
Younas bereute ihren Tod nicht. Trotzdem blieben die Augen dieses Mannes in dem Duschraum. Gleichzeitig so voller Angst und Lebensgier. Er hatte mit all dem nichts zu schaffen gehabt. Ein Opfer. Ebenso unschuldig, wie der Junge und das Mädchen jetzt vor ihm auf dem Boden.
Aber sie hatten ihn gesehen, konnten bezeugen, dass er eine Waffe mit sich herumtrug. Eine Waffe des Typs, mit dem in dieser Nacht zwei Jungen getötet worden waren. Zwecklos sich vorzumachen, dass die Polizei nicht zwei und zwei zusammenzählte, sobald irgendwer die beiden fand. Früher oder später würden sie zu reden beginnen.
Angesichts des Lärms draußen würde höchstwahrscheinlich keiner die zwei, drei Schüsse hören, die nötig wären, die beiden für immer zum Schweigen zu bringen. Bloß konnte er dann ebenso gut auch die Barfrau töten, die ihm gesagt hatte, wo er die DJs fand.
Younas war bereit seiner Tochter zu verschaffen, was ihr seiner Auffassung nach zustand, doch in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er nicht fähig war es UM JEDEN PREIS zu tun.
Younas zögerte es hinaus.
Eine Sekunde.
Zwei.
Drei.
Vier.
Fünf.
Zehn.
Dieses Mädchen hatte ihn bestohlen. Und der Junge ihr dabei geholfen. Er konnte sie nicht töten. Aber benutzen.
Younas beugte sich zu dem Jungen hinab.
„ Du … bleibst … hier. Ganz still. Das Mädchen kommt mit mir. Mein Kollege … draußen vor der Tür. Wenn ich mit Mädchen weg bin … ganze Zeit. Du … machst Ärger … Kollege … macht Ärger mit Dir. Ich mache Ärger mit Mädchen. Kapiert?“
Nichts und alles hatte sich verändert. Seine Hand in der Tasche um die Pistole verkrampft trat Younas hinter dem pummeligen Mädchen durch die Tür des Lagerraumes.
Draußen war alles genauso wie er es hinter sich gelassen hatte: die Musik, die Tanzenden, der Kunstrauch, der Geruch nach Bier, Alkohol, Schweiß, Zigaretten und Parfüm.
Younas zweifelte nicht daran, dass das pummelige Mädchen auf seinen Bluff hereinfiel. Zu deutlich war die Angst in ihrem Blick, während er sie von ihren Fesseln befreit hatte. Zu deutlich die Panik im Blick des Jungen, sobald Younas sich anschickte hinter dem Mädchen den Lagerraum zu verlassen.
Das Mädchen machte ihre Raubzüge hier sicher nicht zum ersten Mal. Sie wusste, wie sie sich davor schützte von irgendeinem ihrer Opfer wieder erkannt zu werden.
Bevor sie den Lagerraum verließ, hatte sie Younas mit einer stummen, aber bestimmten Geste zu warten gebeten, war an den Spind getreten, hatte sich den Pullover über den Kopf gestreift und ein knappes Ledertanktop über die nackten Brüste gezwungen. Anschließend eine mit roten grünen und blauen Strähnen durchzogene Lockenperücke über die blonden Stummelhaare gestreift. Aus der pummeligen Rothaarigen, die Younas bestohlen hatte, war eine schwarz belockte Punkerin geworden.
Die Tanzfläche schien größer geworden zu sein, die Beats härter, der Kunstrauch dichter, die Bewegungen der Tänzer wilder.
Wie ein Film liefen durch Younas Hirn wieder und wieder die Bilder des Momentes als das pummelige Mädchen ihren Pullover abstreifte. Der Anblick ihrer festen bloßen Brüste. Einen Augenblick – Begehren. Gleich darauf die Gewissheit: Wie die zutiefst verängstigten panischen Blicke des Mannes im Duschraum, würde der Anblick des Mädchens mit ihren bloßen Brüsten auf ewig in ihm bleiben. Und Younas Scham darüber, diesen einen flüchtigen Augenblick des Begehrens, nichts entgegengesetzt zu haben.
Younas Hand legte sich auf die Schulter des pummeligen Mädchens.
Younas Lippen so dicht an ihrem Ohr, dass er meinte Herzschlag und Puls des Mädchens hören zu können.
„ Du … gehst … rauf zu Zimmer von DJs … ist einer, hat rote Haare, ja? Du … sag ihm … sein Kumpel draußen auf Parkplatz… rechts von Eingang … bei Zaun, da wo alter Laster steht… heißt Luckas … Kumpel für DJ mit rote Haare?
Luckas … traut … sich … nicht … in Disco, wegen Mädchen von gestern … deshalb er wartet bei Lastwagen auf Parkplatz. Du verstanden?“
Das pummelige Mädchen nickte.
„ Sag … geht um Mädchen von gestern … weiß dann schon Bescheid. Luckas ist so alt wie DJ, groß, hat blonde Haare, Augen … grau … verstanden? Und geht um Mädchen von gestern.“
Nicken.
Heftiger jetzt.
Younas sah sich um. Er fand wonach er suchte.
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