Glasklar
Frage.« Meinländer sah ihn verlegen an. »Sagt Ihnen der Name ›Flippi‹ etwas?«
»Flippi?«, wiederholte der pensionierte Pädagoge. »Flippi, sagen Sie?«
»Ja. Hat es irgendwann mal jemanden gegeben, der so geheißen hat oder so gerufen wurde?«
Meinländer sah zu seiner Frau, die jedoch keine Reaktion erkennen ließ.
»Hängt das mit dieser Sache zusammen?«
Speckinger schwieg.
»Flippi«, wiederholte Meinländer. »Ich entsinne mich dunkel, dass da mal was war. Das muss aber sehr lange her sein. Aber im Moment, nein, im Moment krieg ich das nicht auf die Reihe.«
Sander hatte sich von seinem Navigationsgerät zum Lerchenweg in Gammelshausen bringen lassen. Er war wieder mit seinem Privat-Golf gefahren, für dessen neue Reifen er gestern eine ordentliche Summe hingeblättert hatte. Als sparsamer Schwabe, der er war, konnte er den Ärger darüber nicht verdrängen. Er würde eine bürokratische Prozedur über sich ergehen lassen müssen, um die Kosten erstattet zu bekommen. Doch dazu musste er zunächst die Hintergründe dem Geschäftsführer des Verlags darlegen. Der würde sich vermutlich mächtig darüber freuen. Schon einmal hatte Sander um außergewöhnlichen Schadensersatz gebeten – als er mit einem befreundeten Kommunalpolitiker auf dessen Motorrad dienstlich mitgefahren war und er versehentlich seine damals neuen schwarzen Halbschuhe auf den Auspuff gestellt hatte. Als die Fahrt nach einigen Kilometern unterbrochen wurde und Sander abstieg, kam er sich vor, als ginge er auf Brei. Außerdem lag in der Luft ein seltsam öliger Geruch. Bis Sander erkannte: Die Sohlen seiner Schuhe waren auf dem heißen Auspuff geschmolzen – und das zuvor chromblitzende Teil, der Stolz eines jeden Bikers, wies hässliche schwarze Flecken auf, die später nur mühsam entfernt werden konnten. Mit leichtem Murren hatte der Geschäftsführer des Verlags damals neue Schuhe bezahlt. Und nun also würde es um vier neue Reifen gehen.
Sander riskierte es nicht, den Wagen auf die schmale Wohnstraße zu stellen. Er fuhr deshalb in dem beschaulichen Wohngebiet weiter, in dem blühende, vom Hagel zerzauste Sommerstauden die Vorgärten begrenzten. Schließlich entdeckte er eine Stelle, die ihm breit genug erschien, um den Golf abzustellen. Offenbar parkten die Besucher dieser Häuser alle weiter entfernt, denn in den Straßen stand nirgendwo ein Fahrzeug. Sander ging die knapp 100 Meter wieder zurück und hielt nach der Hausnummer Ausschau, die er suchte. Die Adresse, so stellte er rasch fest, gehörte zu einem schmucken Einfamilienhäuschen, das mit seinen Gauben auf einen ausgebauten Dachboden schließen ließ. An der vorderen Giebelwand standen zwei Autos unter einem breiten Carport, der mit einer zusätzlichen Balkenkonstruktion auch den Haustürbereich abdeckte. Ihn erreichte Sander über den breiten Gartenweg. Vögel zwitscherten, die Luft war feucht und schwül. Vermutlich würde es bald wieder ein Gewitter geben, dachte der Journalist, während er seinen Blick über die Namen zweier Klingelknöpfe gleiten ließ. Der unterste Name war ihm kein Begriff, dafür aber der Vorname, den er am oberen las, sehr wohl: ›Sabine‹. Tatsächlich – Sabine. Ob es sich bei ihr wirklich um Heidenreichs Lebensgefährtin handelte, vermochte er nicht zu sagen, denn den Nachnamen ›Braunstein‹ kannte er nicht.
Er zögerte einen Augenblick, sah sich um, als wolle er nicht gesehen werden, und drückte schließlich auf den Knopf. Weit entfernt im Haus ertönte ein Gong. Wenig später vernahm er Schritte, die über eine Steintreppe abwärts kamen.
Sander überlegte sich, was er jetzt gleich sagen sollte. Wenn es sich um Heidenreichs Freundin handelte, würde sich gewiss ein lockeres Gespräch ergeben – andernfalls jedoch musste er vorsichtig vorgehen. Hinter dem Milchglas der Tür zeichneten sich lange schwarze Haare ab. Sander versuchte, sich an das Gesicht der Frau zu erinnern. Ja, Sabine hatte lange Haare, sehr lange sogar, fiel ihm ein. Und schon stand sie vor ihm und schien erschrocken zu sein. »Du?«, war alles, was sie über die Lippen brachte.
»Ja, ich«, stammelte Sander und sah in ihre großen dunklen Augen. »Entschuldige, wenn ich dich so überfalle. Aber ich kenn weder deinen Nachnamen noch kann ich dich im Telefonbuch finden.«
Sie musterte ihn von oben bis unten. »Aber meine Adresse kennst du«, flüsterte sie verwundert.
»Für einen Journalisten kein Problem«, sagte er und suchte krampfhaft nach
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