Glasklar
und registrierte in Meinländers braun gebranntem Gesicht ein Lächeln. »Er war einer Ihrer Schüler. Was fällt Ihnen zu ihm ein?«
»Sie wollen damit jetzt aber nicht sagen, dass er einer Ihrer Hauptverdächtigen ist?«, fragte der ältere Mann. Er sprach bedächtig.
»Nichts will ich damit sagen, überhaupt nichts. Aber, um ehrlich zu sein, wir sind der Meinung, dass er, sagen wir mal, nicht mit uns kooperieren will.«
Frau Meinländer hielt kurz inne und sah auf.
»Er hat etwas erfahren, was er der Polizei nicht sagen will?«, brachte ihr Mann Speckingers Äußerung auf den Punkt.
»So könnte man es äußern. Wie würden Sie ihn denn charakterisieren, wenn Sie’s müssten?«
Meinländer setzte seine Sonnenbrille auf, die auf dem Tisch lag. »Charakterisieren«, wiederholte er. »Seit er mein Schüler war, sind 45 Jahre vergangen. Wie soll ich da noch charakterisieren? Der Mensch ändert sich.«
»In manchem vielleicht doch nicht«, konterte Speckinger. »Hat Herr Sander denn zu Gewalt geneigt? Oder war er eher ein verschlossener Typ?«
»Zu Gewalt nicht, nein, das kann man nicht sagen«, ließ sich der Pensionist aus der Reserve locken. »Verschlossen? Na ja, eher vielleicht schüchtern, ein bisschen ängstlich – anfangs jedenfalls. Das hat sich später dann gebessert.«
»Und seine Noten?«
Meinländer lächelte wieder. »Was haben denn Schulnoten nach so langer Zeit noch für eine Bedeutung? Ich kenne ehemalige Schüler, die hatten Traumnoten – und dann sind sie in der Gosse gelandet. Bei Sander war es eher andersherum.«
»Sie wollen damit sagen, dass er nicht zu den Klassenbesten gezählt hat?«
»So kann man das sicher vornehm ausdrücken«, grinste Meinländer. »Aber welchen Hintergrund hat denn Ihre Frage?«
Speckinger ging nicht darauf ein. »Würden Sie ihm zutrauen, dass er sich im Laufe der Zeit Beziehungen und Zugang zu allen gesellschaftlichen Kreisen verschafft hat?«
»Was heißt ›zutrauen‹? Das ist letztlich eine Frage des Geschicks und der Sympathie, die ein Mensch ausstrahlt«, antwortete Meinländer sachlich. »Und Sie müssen das Glück haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, an dem Sie die Leute treffen, die für Sie wichtig werden könnten.«
»Und politisch? Wie war Sander damals in den 60er-Jahren? Es ging ja auf die 68er zu.«
»Unpolitisch.« Meinländer besah sich den Kriminalisten und taxierte sein Alter auf Mitte 50, »aber das müssen Sie auch bedenken, Sanders Generation hat sich von den 68er-Revoluzzern nicht anstecken lassen. Dazu waren sie noch zu jung. Und später – falls Sie auf die Geschichten in den 70ern anspielen –, da hatte ich zu Sander und seiner Schulklasse so gut wie keinen Kontakt. Der ist erst später wieder entstanden.«
»Und Sie selbst?«, grinste Speckinger provokant. »Sie waren für die 68er zu alt?«
»Ja, natürlich. Wir gehörten schon zu den Situierten, die man damals ächtete, wenn ich das so ausdrücken darf.«
»Und in den 70ern?«
Frau Meinländer hielt erneut inne. Das Plastiksieb mit den gewaschenen, aber noch unbearbeiteten Erdbeeren war jetzt beinahe leer.
»Da war ich, um es klar zu sagen, einfach schockiert. Schockiert von der Brutalität, mit der die Baader-Meinhof-Bande gegen den Staat und seine Repräsentanten vorgegangen ist.«
»Es hätte also«, Speckinger suchte nach einer vorsichtigen Formulierung, »keinen Grund gegeben, Sie beispielsweise zu bespitzeln?«
Meinländers Gesichtszüge verrieten Verwunderung. Seine Frau sah ihn an.
»Bespitzeln?«, fragte der Pensionist ungläubig.
»Glauben Sie nicht, der Staat hätte damals die Gesinnung seiner Diener genauer unter die Lupe genommen?«
»Wenn ich Anlass dazu gegeben hätte, sicher. Aber ich war, wie man so schön sagt, ein armes Mittelschulmeisterlein. Ein kleines Lichtchen, das eine Frau und ein kleines Kind hatte. Meinen Sie, ich hätte mich in irgendeiner Weise politisch mit dem Staat angelegt? Außerdem, das können Sie nicht wissen, bin ich von ›drüben‹ gekommen. Ein Zonenflüchtling, wenn Sie so wollen. Aber das war noch lange vor dem Mauerbau.«
»Andere Frage«, ließ Speckinger dieses Thema fallen, worauf sich auch Frau Meinländer wieder mit ihren Erdbeeren befasste. »Ich hab das schon mal angesprochen – die Arbeit von Herrn Heidenreich für die Steuerfahndung.«
Meinländers Gesichtsfalten schienen tiefer zu werden. Er sagte aber nichts.
»Sie sind sich absolut sicher, den Steuerfahndern keinerlei Anlass für
Weitere Kostenlose Bücher