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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Lindenhof«, las Linkohr von einem Blatt ab. Offenbar konnte er sich die örtliche Zuordnung nicht vorstellen.
    Häberle sah seine Gesprächspartner der Reihe nach an. Auch sie schienen mit diesen Angaben nicht viel anfangen zu können.
    »Wisst ihr, wo das ist?«, stellte er eine rein rhetorische Frage in den Raum und gab die Antwort selbst: »Vielleicht 200 bis 300 Meter Luftlinie von dieser Laierhöhle entfernt.«
    Keiner reagierte auf diese Aussage.

52.
    Die Frau zitterte inzwischen am ganzen Leib. Jeder Atemzug wurde in der feuchtkalten Luft zur Qual. Sie waren jetzt in einen leicht abwärtsführenden Gang gekommen, der ihr so breit wie ein Hausflur erschien. Überall funkelten an dem kantigen Gestein Wassertropfen im Schein der beiden Stirnlampen. Die Schuhe klebten bei jedem Schritt in der ockergelben Masse. Der Mann ging zügig voran, als wolle er diesen vergleichsweise bequemen Abschnitt hinter sich bringen. Doch dann blieb er bereits wieder stehen und richtete am Ende des Gangs den Lichtstrahl mit gesenktem Kopf auf den feuchten Boden. Die Frau verharrte ein paar Schritte davon entfernt und erschauderte, als sie erkannte, dass der Fels nur noch einen etwa 50 Zentimeter hohen Durchschlupf bot. »Keine Angst«, sagte der Mann. »Leg dich auf den Bauch und kriech durch. Das geht ganz einfach.« Er merkte, dass sie kurz davor war, die Aktion abzubrechen. »Der Schlick macht dich schlüpfrig. Du bleibst nirgendwo stecken.«
    »Wie weit geht das?«, fragte sie, und ihre Stimme klang dünn.
    »Zwölf Meter«, antwortete er ruhig. »Nur zwölf Meter.«
    Sie schluckte und wollte sich wieder Lehm aus dem Gesicht reiben. Doch ihre Handschuhe waren dick mit ockergelbem Dreck verklebt, sodass es viel zu umständlich gewesen wäre, sie auszuziehen.
    Der Mann legte sich auf den Bauch. »Einfach mir nach!«, befahl er und begann, in den schmalen Spalt hineinzurobben.
    Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie zurückbleiben sollte. Doch das wäre das Ende, dachte sie. Allein würde sie es niemals zurück schaffen – und dieser Mann hatte immerhin versprochen, dass es irgendwo tief im Berg für ein paar Tage Sicherheit gab. Wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Wie bei einem Atomkrieg verkrochen sie sich im Untergrund – wohl wissend, dass dieser Überlebenskampf sinnlos war. Die Finsternis, von der sie abseits des schmalen Lichtkegels ihrer Stirnlampe umgeben waren, machte die Enge noch bedrohlicher. Bloß nicht daran denken, dass du hier drin gefangen bist!, hämmerte es in ihrem Kopf. Doch je mehr sie sich selbst zu beruhigen versuchte, desto heftiger wurde ihr bewusst, dass sie in eine aussichtslose Situation geraten war, dass sie nicht einfach ins Freie hinausrennen konnte, dass sie sterben würde, falls ihr Atem stillstand oder sie Panik ergriff. Panik. Wahrscheinlich war es Panik, die von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Panik. Platzangst.
    »Wo bist du denn?«, drang die Männerstimme aus dem schmalen Spalt am Boden dumpf heraus. »Mach jetzt bloß nicht schlapp. Hier drunten ist’s allemal besser als im Knast.«
    Knast. Gefängnis. Man würde sie einsperren. Ganz bestimmt würde man sie einsperren. Ihr restliches Leben lang. Ihr Gehirn holte längst vergessen geglaubte Bilder von Gefängniszellen hervor. Tisch, Stuhl, Toilette, vergittertes Milchglasfenster. Ein hartes Bett, womöglich ein Etagenbett, das für zwei, drei weitere Frauen gedacht war.
    »Komm endlich!« Die Männerstimme hatte sich bereits weit entfernt.
    Einsperren. Sie drehte den Kopf nach allen Richtungen und ließ den Lichtstrahl an dem feuchten Fels entlanggleiten, der sie gnadenlos umgab. Eng und kühl, finster und stumm. So würde sie in ihrer Zelle sitzen und mit jedem Tag dem Tode näher kommen.
    »Mach jetzt endlich.« Der Mann wurde ärgerlich. »Komm da durch!«
    Sie ging mit weichen Knien in die Hocke, dann legte sie sich vorsichtig auf den Bauch. Das Kinn steckte im Schlick, die behandschuhten Hände griffen in die weiche Masse. Zaghaft probierte sie, mit den Spitzen der Schuhe einen festen Halt zu finden, um ihren Körper nach vorne in dieses schreckliche Loch zu schieben, während sie mit den Fingern verzweifelt etwas suchte, an dem sie sich vorwärtsziehen konnte. Doch ihre Arme waren viel zu schwach, um diese Kräfte aufzubringen. Schließlich hatte sie sich eine Körperlänge in die Spalte hineingeschoben. Mit jeder Bewegung des Kopfes stieß sie an das Gestein. Im Lichtstrahl konnte sie erkennen, dass der

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