Glasklar
betonierten Schacht abdeckte. Inzwischen waren weitere Kriminalisten von der Sonderkommission eingetroffen und der Gruppe von Einsatzkräften gefolgt, die sich mit ihren Taschenlampen um Schmolke und Häberle gruppierten.
»Das ist ein Privathaus«, erklärte der Höhlenforscher, während die Rotorengeräusche eines Hubschraubers die Luft erzittern ließen. Der Eurocopter, dessen Bordausrüstung auch einem James Bond zur Ehre gereicht hätte, näherte sich ohne jegliches Licht, zeichnete sich aber rasch als schwarzes Ungetüm am sternenklaren und mondhellen Himmel ab. In knapp 50 Meter Höhe tauchte er gespenstisch über dem Hausdach auf und legte einen ohrenbetäubenden Lärmteppich über das Wohngebiet. Als der Helikopter seine Position erreicht hatte, blieb er am Himmel stehen und schaltete den Halogenscheinwerfer ein, der augenblicklich den Einsatzort in gleißend helles Licht tauchte. Häberle staunte jedes Mal, mit welcher Präzision die Piloten der Hubschrauberstaffel ihre Maschinen beherrschten. Auf diese Weise konnte selbst in stockfinstrer Nacht auch unwegsames Gelände ausgeleuchtet werden, bis am Erdboden entsprechende Scheinwerfer errichtet waren.
Hinter den großen Wohnzimmerfenstern des angrenzenden Wohnhauses gingen Lampen an. Ein Mann war zu sehen, der sich in einen Jogginganzug gezwängt hatte. Er riss die Terrassentür auf und zog eine Miene, die zwischen Verärgerung und Erstaunen alles vermuten ließ. Was er den Männern zurief, ging im Höllenlärm des Hubschraubers unter. Ein Uniformierter bemerkte den Mann und kam ihm auf dem Gartenweg entgegen, um ihn mit knappen Worten über das Geschehen aufzuklären. Er empfahl ihm, aus Sicherheitsgründen im Gebäude zu bleiben. Doch der Hausbewohner kam der Aufforderung nicht nach, zumal im beleuchteten Wohnzimmer jetzt auch seine Ehefrau auftauchte und nicht davon abzuhalten war, in die laue Nacht hinauszutreten.
Schmolke hatte inzwischen festgestellt, dass der Gitterrost unverschlossen war.
»Das bedeutet, dass jemand unten ist?«, brüllte ihm Häberle ins Ohr, um den Hubschrauber zu übertönen.
»Mit hoher Wahrscheinlichkeit, ja«, gab Schmolke ebenso lautstark zurück. »Natürlich kommt es auch manchmal vor, dass jemand vergisst, hier abzuschließen.«
Schmolke hob den Gitterrost hoch. »Aber Licht brennt dort unten keines.« Er wandte sich an die Männer, die ihn erwartungsvoll anstarrten. »Und jetzt? Will jemand runter?«
54.
Sie konnte nicht mehr. Sie war mit ihren Kräften am Ende. Sie fühlte sich eingezwängt zwischen dem nassen Fels und dem morastigen Boden. Nein, sie kroch hier nicht weiter.
»Was ist denn?« Die Stimme des Mannes, die aus dem finsteren Spalt dumpf zu ihr zurückhallte, dröhnte in ihren Ohren. Sie unternahm den verzweifelten Versuch, sich rückwärts zu bewegen, die Schuhspitzen in den Schlick zu drücken, die Knie anzuwinkeln und den Oberkörper zurückzuziehen. Ihr Gesäß stieß unsanft gegen den Fels über ihr, der Helm streifte das Gestein. Mit allerletzter Kraft, wie sie nur ein Körper freisetzt, der panisch und in Todesängsten die letzten Reserven mobilisiert, stemmte sie sich mit den dick lehmverklebten Handschuhen am Boden ab, um sich Zentimeter für Zentimeter von diesem Schlund zu befreien, in den sie sich selbst hineinmanövriert hatte.
»Verdammt noch mal, wo bleibst du denn?« Es klang sehr barsch. Gleich würde der Mann zurückkommen und sie gewaltsam weiterzerren.
Noch eine kräftige Bewegung rückwärts. Schuhspitzen in den Schlick, Knie anwinkeln, bis das Gesäß die Decke berührte – und dann erneut mit den Händen wegdrücken. Ihr Mund war mit dem kalten Lehm verschmiert, sie spürte ihn auf der Zunge.
Sie musste raus. Lieber im Gefängnis eingesperrt sein, als hier unten elend verrecken!, schoss es ihr durch den Kopf.
»Wo bist du? Gib gefälligst eine Antwort, verdammt noch mal!« Der Mann brüllte sich heiser. Doch je bedrohlicher seine Stimme dröhnte, desto mehr Kräfte entfalteten sich in der Frau. Sie spürte bereits, dass die Füße wieder mehr Freiraum hatten. Sie würde es schaffen – nur noch wenige Zentimeter. Doch wie konnte sie zurück? Würde sie den Weg finden – und vor allem: Was geschah, wenn die Stirnlampe, dieses einzige Licht, das die ewige Finsternis erhellte, plötzlich erlosch? Oder wenn sie jetzt einer falschen Spalte folgte?
»Wenn ich dich holen muss, kannst du was erleben!«, drohte die wütende Stimme, die dumpf aus der Spalte dröhnte. »Denk dran,
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