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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wenn sie dich schnappen, kommst du für immer ins Loch. Und das ist schlimmer und schrecklicher als zwei, drei Tage hier unten.«
    Nein, lieber Gefängnis, als hier verrecken, befahl ihr ein anderes Ich, das schon oft im krassen Gegensatz zu ihrer realen Welt gestanden hatte. Oft genug schon war sie von dieser inneren Stimme hin und her gerissen worden. Sie fühlte sich wie eine gespaltene Persönlichkeit, als ob noch jemand von ihrem Körper, vor allem von ihrem Gehirn Besitz ergriffen hatte. Sie musste an Uli denken, an Bayreuter, an das Gespräch mit ihm. Beinahe hätte sie ihm ihre psychischen Probleme anvertraut, die sie seit der Jugendzeit verfolgten und die mit zunehmendem Alter immer schlimmer wurden. Eigentlich hätte sie längst den Schuldienst quittieren müssen, aber das wäre auch das Eingeständnis gewesen, reif für die Klapsmühle zu sein. Seit sie wusste, dass Werner Heidenreich damals ihren Flippi erschossen hatte, den einzigen Menschen, den sie jemals wirklich geliebt hatte, war alles noch schlimmer geworden. Warum nur hatte ihr Volker Lechner dies gesagt? Er hätte es doch für sich behalten können. Nie wäre es so weit gekommen wie in der Samstagnacht. Aber das innere Ich, das andere Ich, dieses unbekannte Wesen, hatte ihr befohlen, es zu tun. Jetzt oder nie. Es hatte alles so gut gepasst. Das Messer von Uli, die laue Nacht auf dem Berg, als sie noch umherging – und er dann kam, während sie im frisch gemähten Gras auf dieser Lichtung beim ›Mammut‹ gesessen hatte.
    Für ein paar Sekunden waren diese Bilder lebendig, diese Stiche, der kurze Kampf am Drahtgitterkäfig, als er ihr die Brille vom Kopf schlug – und dann ihre plötzliche Panik. Wie sie den blutenden und leblosen Körper ins Gebüsch gezerrt hatte. Wie sie in die Nacht hineingelauscht hatte, wo von irgendwoher ein Käuzchen schrie. Und wie sie dann zu Volker gegangen war, von dem sie wusste, wo er sein Zelt aufgebaut hatte.
    Mühsam und benommen erhob sie sich. Ihre Knie waren weich und zitterten. Der Lichtstrahl tanzte an den feuchten Felswänden entlang.
    »Gib endlich eine Antwort, oder hast du schon den Geist aufgegeben?« Es war Lechners Stimme, weit entfernt und dumpf – die Stimme eines Mannes, der vor einigen Monaten wieder Kontakt zu ihr aufgenommen hatte – nach rund 30 Jahren. Sie waren damals auseinandergegangen, und sie wusste lange Zeit nicht, was aus ihm geworden war. Beinahe hätte die Verbindung zu Flippi dazu geführt, dass sie nicht in den Schuldienst übernommen wurde.
     
    Junge Uniformierte hatten inzwischen die Straße auf beiden Seiten abgesperrt und auch entlang des Parkplatzes, der an leicht abschüssige Felder grenzte, ein rot-weißes Plastikband gezogen. Doch die Bewohner der direkt angrenzenden Gebäude lehnten sich entweder aus ihren unbeleuchteten Fenstern oder standen in Trainings- oder Schlafklamotten in ihren Vorgärten. Der dröhnende Hubschrauber hatte mittlerweile auch den letzten Schläfer aus den Federn geholt. Bedrohlich war er über dem Höhleneingang positioniert und warf seinen Halogenstrahl blendend hell auf die Erde.
    Die Kriminalisten und das Spezialeinsatzkommando hatten sich in einen Holzschuppen zurückgezogen, der neben dem Parkplatz stand. Häberle hatte ihn zunächst für eine Hütte der Straßenmeisterei oder des städtischen Bauhofs gehalten, erinnerte sich dann aber an Linkohrs Beschreibungen, der hier den Vereinsvorsitzenden vernommen hatte. Demnach musste es sich um das Vereinsheim handeln. Und als Schmolke die Tür geöffnet und innen die Leuchtstoffröhren hatte aufflammen lassen, bestätigte sich seine Vermutung. Sie standen im Vorraum, der eine Vielzahl von Utensilien enthielt, die die Höhlenforscher benötigten: Die reißfesten Schlaze und die Schleifsäcke, die man hinter sich herzog, um Material in die Höhle zu schleppen. Häberle hatte sich in den vergangenen Tagen per Internet damit auseinandergesetzt. Er erkannte deshalb auf den Regalen auch spezielle Schlafsäcke, Gaskocher und sogar Karbidlampen.
    Schmolke führte die Männer zum Aufenthaltsraum und breitete dort wieder einige großformatige Blätter aus. Unterdessen tauchten an der Eingangstür zwei weitere Männer auf: Polizeipressesprecher Uli Stock und der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Ziegler. Allein ihre Anwesenheit ließ die Bedeutung des Falles vermuten.
    Stock machte sich mit einem »Hallo« bemerkbar und stellte sich und den Chef der Ulmer Staatsanwaltschaft vor, der trotz der

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