Glasklar
sich besser einprägen zu können. Der Pilot richtete den Helikopter auf und ließ ihn in der Luft stehen. Unterdessen drehte sein Kollege das Fernglas schärfer. »Du, da liegt einer drin«, meinte er.
10.
»Ist es das?« Kommissar August Häberle hatte sich von einem jungen Kriminalisten das Küchenmesser bringen lassen, das in eine Plastikhülle verpackt war und an dem getrocknetes Blut haftete.
Uli Bayreuter, der zusammen mit Gustav Brandt in den Anbau des Wasserberghauses zurückgekehrt war, nickte betroffen. »Ja, ohne Zweifel.« Um sich zu vergewissern, setzte er seine schmale Lesebrille auf und führte das Messer mit der Folie dicht an seine Augen heran. »Klar, hier, dieses seltsame Wappen und die Aufschrift ›Switzerland‹. Das ist meins.« Er gab es dem Kriminalisten zurück. Für einen kurzen Moment schwiegen sich die Männer an.
»Wo haben Sie es den Abend über gehabt?«, fragte Häberle schließlich.
»Auf dem Biertisch hinter mir. Etwa 15 Meter vom Feuer entfernt«, schilderte Bayreuter und verbarg seine innere Unruhe.
»Es war zur allgemeinen Benutzung gedacht?«
»Ja, natürlich. Es hat sich so eingebürgert, dass ich bei solchen Festen die Gerätschaften mitbringe.«
»Aber Sie haben beim Zusammenräumen vorige Nacht nicht bemerkt, dass es gefehlt hat?«
Gustav Brandts Blick wanderte von Häberle zu Bayreuter.
»Nein«, erwiderte dieser sachlich. »Ich habe jede Menge Utensilien dabeigehabt. Pappteller, Schüsseln, Besteck. Mit Sicherheit aber wäre es mir noch aufgefallen, dass das Messer fehlt.«
»Wann haben Sie’s denn zuletzt gesehen?«
Häberles ruhige Art ließ die Anspannung aus Bayreuters blassem Gesicht weichen. Er brauchte nicht zu überlegen, denn er hatte sich darüber vorhin schon den Kopf zerbrochen. »Wann das genau war, weiß ich natürlich nicht. Aber ich hab zuletzt wohl mir selbst ein Stück vom Rettich runtergeschnitten und davon auch Katrin was gegeben, einer alten Schulfreundin.«
»Und dann haben Sie’s wieder zurückgelegt?«
»Ja, natürlich. Das Ding kann man ja nicht in die Hosentasche stecken.«
»Theoretisch hätte es also jeder aus Ihrer Gruppe mitnehmen können?«, hakte Häberle nach.
»Mitnehmen ja, aber er hätte es irgendwie einstecken müssen. In eine große Jackentasche vielleicht oder in einen Rucksack.«
»Und Rucksäcke hatten einige von Ihnen dabei?«
»Ja. Man braucht schließlich Pullover und Decken, denn die Nächte können dort oben kühl werden.«
»Seinen Rucksack hatte jeder bei sich liegen?«
»Nein, die waren auch auf dem Biertisch gestapelt – oder drunter. So genau weiß ich das nicht.«
Häberle sah den Männern nacheinander in die Augen. »Dann wäre es für die Anwesenden also ein Leichtes gewesen, das Messer zu nehmen und einzustecken.«
Bayreuter stimmte zu. »Allerdings. Aber auch jeder andere, der sich angeschlichen hätte, käme infrage.«
»Angeschlichen?«, griff Häberle diese Bemerkung auf. »Halten Sie es denn für möglich, dass sich jemand unbemerkt der Feuerstelle genähert hat?«
Bayreuter runzelte die Stirn, als wolle er damit andeuten, dass Häberle keine Ahnung hatte, wie viele Menschen sich im Sommer zu nächtlicher Stunde auf dem Wasserberg herumtrieben. »Ich weiß nicht, ob Sie jemals in so einer Nacht hier oben waren. Aber da ist überall jemand.«
Brandt pflichtete seinem Freund bei: »Ich war zwar nicht am Feuer, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass keiner aus unserer Gruppe es getan hat.« Er sprach so überzeugend, wie er es auch bei den wöchentlichen Konferenzen an seiner Arbeitsstelle tat. Keine Zweifel aufkommen lassen, fundiert argumentieren, mit Ruhe und Gelassenheit, ohne Arroganz und Überheblichkeit, wie sie jene an den Tag legten, die allein mit Selbstgefälligkeit glänzen konnten. Häberle glaubte, diese Haltung zu spüren, und fühlte Sympathie für die beiden Männer, die seinem Jahrgang angehören mussten und während ihrer langen Berufsjahre erfahren hatten, dass die wahren Werte kaum noch zählten.
Noch bevor der Kommissar sich äußern konnte, griff Uli Bayreuter die Feststellung Brandts auf: »Nein, von uns war das keiner.« Er überlegte, wie er seine Meinung kundtun sollte: »Aber Sie wissen vermutlich selbst am besten, dass in manchen Kreisen ein Menschenleben kaum noch eine Rolle spielt. Die Brutalität kennt keine Grenzen.« Als Leiter einer Berufsschule hatte er leidvolle Erfahrungen gesammelt. Nicht, dass er bereits mit einem Tötungsdelikt
Weitere Kostenlose Bücher