Glasklar
sonntags hielten sich die verbliebenen Sender in Ulm und Stuttgart mit Nachrichten aus der engeren Heimat ohnehin stark zurück, aber irgendwie hätte der engagierte junge Kollege doch mitkriegen müssen, dass ein großer Fall am Laufen war. Aber Linkohr meldete sich weder am Festnetztelefon noch am Handy.
Häberle hatte noch immer nichts gesagt, weshalb sein Gegenüber anfügte: »Und in dem Auto liegt einer. Ein Mann.«
Der Chefermittler schluckte. »Tot?«, fragte er und spürte, wie ihm etwas die Kehle zuschnürte.
Der Kollege zuckte wortlos mit den Schultern, während draußen das Knattern des Hubschraubers die Luft erfüllte.
Georg Sander war nach dem Gespräch mit Häberle wild entschlossen, nun selbst Recherchen anzustellen. Er rief den diensthabenden Kollegen in der Redaktion an und erklärte, was geschehen war. Während Doris auf einer Bank vor dem Albvereinshaus sitzen blieb, um auf Uli und Gustav zu warten, die noch immer nicht aus dem Nebengebäude zurückgekehrt waren, verließ der Journalist das Gelände auf dem breiten Zufahrtsweg. Er wollte den knapp 300 Meter entfernten Tatort mit seiner kleinen Digitalkamera fotografieren, die er vorsorglich von zu Hause mitgebracht hatte. An der Gabelung, an der der Fahrweg nach links wegschwenkte und lediglich ein Forstweg geradeaus an der Hangkante entlang weiterführte, war ein rot-weißes Absperrband gezogen. Sander überlegte, ob er einfach darübersteigen oder den entfernt stehenden Uniformierten fragen sollte. Dieser jedoch unterhielt sich mit einem Mann, dessen Statur auf Uli Stock schließen ließ, den Pressesprecher der Polizeidirektion Göppingen.
Augenblicke später schüttelten sich Stock und Sander die Hände. Oft genug waren sie sich schon an Tatorten begegnet und gelegentlich auch in Streit geraten, weil ihre Ansichten über Pressearbeit auseinanderzugehen schienen. Jetzt gab sich Stock aber betont umgänglich und frotzelte: »Ich weiß nicht, ob ich Sie vorlassen darf – Sie sind schließlich ein Hauptverdächtiger.«
Sander zögerte. Im Moment wusste er nicht, wie er diese Bemerkung einzuschätzen hatte. Stocks Tonfall ließ häufig Rätsel aufkommen. Doch an seinen Gesichtszügen erkannte der Journalist, dass es diesmal tatsächlich ironisch gemeint war.
»Gehen wir rüber?«, fragte Stock und wartete gar keine Antwort ab. Die beiden stiegen über das Absperrband und gingen schnellen Schritts über die festgetrockneten und tief eingegrabenen Traktorspuren zu der Lichtung, in dessen Mitte der Drahtkäfig des ›Mammuts‹ aufragte.
»Die Leiche ist inzwischen abtransportiert«, erklärte Stock, während sie am Rande der Wiese stehen blieben, auf der ein halbes Dutzend Kriminalisten nach Spuren suchte. Sander holte seine Kamera aus der Jackentasche und fotografierte die Szenerie.
»Hier etwas zu finden, ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen«, kommentierte Stock und deutete nach links zum Waldrand: »Dort drin lag er.« Er vergewisserte sich bei einem der Kollegen, ob sie zum Fundort vordringen durften, und erhielt per Handbewegung die Erlaubnis.
Sander folgte dem Pressesprecher bis zu jener Stelle, an der das Gras auf breiter Fläche niedergetrampelt war. »Der Hund eines Spaziergängers hat die Leiche hier entdeckt«, erklärte Stock, während Sander den verzweifelten Versuch unternahm, den Tatort zu fotografieren. Doch, das war ihm klar, man würde nur den grünen, schattigen Waldrand erkennen. Er entschied sich, später noch einmal die gesamte Fläche abzulichten – mitsamt dem ›Mammut‹. Man konnte schließlich nicht wissen, ob der Täter diesen Ort zufällig gewählt hatte oder ob es einen Zusammenhang mit dem umstrittenen Bäumchen gab.
»Am Nachmittag wird eine Pressekonferenz stattfinden«, sagte Stock unvermittelt. »Drunten in Göppingen.«
»Hoffentlich nicht allzu spät«, knurrte Sander. Er malte sich bereits aus, wie viele Anrufe von auswärtigen Medien eingehen würden, die alle Informationen, möglichst aber schon fertige Kurzmeldungen von ihm verlangten, sodass er selbst Mühe haben würde, seinen eigenen Bericht zu schreiben. Das war zwar, weil ihm Reportagen dieser Art Spaß machten, durchaus positiver Stress, wie er immer zu sagen pflegte, doch mochte er derlei Hektik immer weniger. Vielleicht hing das mit dem Alter zusammen. Solche Gedanken verdrängte Sander üblicherweise. Wenn er den Job zu hassen begann, dann nicht wirklich wegen des Zeitdrucks, sondern weil auch in dieser Branche zunehmend
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