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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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recht haben«, meinte die Frau, die jetzt ihren leeren Eisbecher beiseiteschob, während die letzten Töne des Glockenspiels verklangen.
    »So?«
    »Aber ich denke, Sie haben doch selbst die besten Mittel und Wege, das rauszukriegen, oder?«
    »Ganz sicher«, erklärte der Kriminalist. »Und trotzdem würde mich jetzt interessieren, weshalb Sie Heidenreich auch für außergewöhnlich hielten.«
    »Er und die Frau haben sich sehr wichtig genommen«, erzählte sie eifrig. »Hat man eine Frage gestellt, haben sie nicht mehr aufgehört zu schwätzen.«
    Speckinger schaute interessiert.
    »Hauptsächlich sie«, fuhr Monika Steinhaus fort. »Sie ist immer gleich politisch geworden, links-grün, würd ich sagen. Und für ihn gab’s nur das Thema Eisenbahn.«
    »Und seine Arbeit?«
    »Über die hat er so gut wie gar nicht gesprochen. Sigge hat ihn mal danach gefragt«, sie sah zu ihm hinüber, und er nickte, »aber da kam nur die Bemerkung, er sei bei der Steuerfahndung. Mehr nicht. Ist ja wahrscheinlich auch ein Job, bei dem man nicht so viel ausplaudern darf.«
    Der Kriminalist stellte noch einige belanglose Fragen, um die Zeit zu nutzen, bis sein kleiner Eisbecher serviert wurde. Insgeheim überraschte es ihn, dass die beiden keine Details zu dem Verbrechen wissen wollten. Entweder waren sie von ihren Freunden bereits ausgiebig informiert worden, was nicht ungewöhnlich gewesen wäre, oder sie mieden es absichtlich, das Thema anzusprechen. Es gab, das wusste Speckinger, genügend Menschen, die das Schreckliche verdrängten. So ließ er sich in aller Ausführlichkeit schildern, wie harmonisch der Abend abgelaufen sei und dass das alljährliche Fest alte Freundschaften aufgefrischt habe. »Sogar die, die sich in der Schule nicht so leiden konnten, sitzen jetzt beieinander«, grinste Starz.
    Speckinger konnte das nachvollziehen. Seine Gehirnzellen riefen ihm plötzlich fragmentartig einige Szenen aus der eigenen Schulzeit in Erinnerung. Gewalt hatte es auch damals schon gegeben – wenngleich wohl nicht in dieser Brutalität, wie er es heute immer wieder zu hören bekam. Auch Speckinger konnte sich an Vorfälle entsinnen, bei denen ein paar Tunichtgute aus seiner Klasse versucht hatten, ihm fünf Mark abzunehmen – bloß weil er sich mal mit einem eingelassen hatte, der angeblich eine große Band gründen wollte – eine mindestens so erfolgreiche, wie die Beatles es damals waren – und behauptete, dafür Geld zu brauchen. Speckinger, damals schon mit einem extremen Gerechtigkeitssinn ausgestattet, war hartnäckig geblieben und hatte sich nicht erpressen lassen. Später erfuhr er, dass besagter Mitschüler in der Gosse gelandet war und offenbar das Geld für Rauschgift benötigt hätte. Seither engagierte sich Speckinger ganz besonders, wenn es um Gewalt in Schulen oder auf den Schulwegen ging. Seinem Sohn hatte er stets eingebläut, sich ihm anzuvertrauen, falls ihm Gewalt angetan würde. Dazu jedoch bedurfte es eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Kindern. Denn aus einer oft unerklärlichen Scheu heraus wollen die Kinder daheim nicht eingestehen, Opfer von gewalttätigen Mitschülern geworden zu sein. Vielleicht, so überlegte Speckinger auch jetzt, weil dies ein Zeichen von Schwäche sein könnte. Der Kriminalist, der eine Zeit lang im Elternbeirat der Schule seines Sprösslings war, hatte deshalb unablässig auch an die Lehrer appelliert, sofort hart durchzugreifen, wenn ihnen Gewalttaten bekannt wurden. Seit es auf den Polizeirevieren die Jugendschutzbeamten gab, konnten sich die Eltern auch direkt an diese wenden. »Wehret den Anfängen«, hatte der Kriminalist im Kreise der Eltern immer wieder betont. Doch nicht selten war er dann von Pädagogen angegangen worden, die ihn als ›Hardliner‹ beschimpften und weniger Autorität anmahnten. Das waren jene Momente, in denen sich Speckinger meist nur mühsam zurückhalten konnte. Doch wenn ihm dann der Kragen platzte, was einige Male vorgekommen war, nahm er kein Blatt vor den Mund, sondern schrie hinaus, wohin der Autoritätsverlust diese Republik gebracht hatte: Schulklassen, in denen der Lehrer terrorisiert wurde – Eltern, die jeden Polizisten mit Dienstaufsichtsbeschwerden überzogen, der ihren Sprössling mal lauter zurechtwies – junge Leute, denen die Grundbegriffe des zivilisierten Zusammenlebens abhandengekommen waren. Nein, der Werteverfall, wie er in den frühen 70er-Jahren begonnen hatte, war geradezu dramatisch. Speckinger

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