Glasklar
mit dem ›Mordloch‹ war ihm noch lebhaft in Erinnerung.
»Aber wenn Sie mich auf den Tunnel da drüben ansprechen«, Lechner deutete mit dem Kopf in die mutmaßliche Richtung, »dann muss ich Ihnen sagen, dass ich das äußerst kritisch sehe.«
»Und weshalb?«
»Wenn Sie jemals da unten gewesen wären, wäre Ihnen das klar«, erklärte Lechner, der inzwischen sein Selbstbewusstsein wiedererlangt hatte. »Hohlräume, Wasserströme, unterirdische Seen und Flüsse. Ist Ihnen nicht mehr in Erinnerung, was Jochen Hasenmayer berichtet hat?« Er fügte erklärend hinzu: »Jener Mann, der dann in einem See in Österreich einen Taucherunfall erlitten hat und seither querschnittsgelähmt ist.«
»Seine Theorien sind umstritten«, dämpfte Häberle den Redefluss.
»Mag sein, dass manches den Wissenschaftlern und einigen konservativen Höhlentauchern nicht ins Konzept passt – aber vom Prinzip her hat Hasenmayer erkannt, wie komplex die Systeme im Untergrund sind. Allerdings …« Plötzlich schien Lechner etwas einzufallen, das ihn seiner Euphorie über sein Hobby beraubte. »Sie plaudern mit mir über Höhlen und den Eisenbahntunnel. Darf ich fragen, was dies mit Ihrem Mord zu tun hat?«
Häberle nahm einen Schluck Mineralwasser. »Ach so – ja«, sagte er dann. »Uns interessiert eben alles, gehört zu unserem Job.« Er blickte in unruhige Augen. »Ich hab Ihnen ja eingangs gesagt, dass wir es mit einem Verbrechen zu tun haben, das vergangene Nacht da drüben verübt wurde. Sie haben nicht etwa eine verdächtige Beobachtung gemacht?«
»Ich? Herr Häberle, ich bitte Sie!« Lechner gab sich entrüstet. »Hätte ich so lange über mein Hobby mit Ihnen geplaudert, wenn ich wichtige Dinge zu sagen gehabt hätte? Ich war vergangene Nacht bis um fünf am Hexensattel unten – bei dem großen Spektakel – und bin im Morgengrauen zu meinem Zelt rauf. Ein traumhafter Morgen war das heut früh.«
»Allein«, äußerte Häberle und ließ es wie eine Frage klingen.
»Natürlich allein. Brauche ich etwa ein Alibi?«
Jetzt fuhr Watzlaff unerwartet dazwischen: »Das kann nie schaden. Ein Alibi ist immer gut.« Und er fügte an: »Einen silberfarbenen Renault Twingo haben Sie aber nicht zufällig gesehen – unterwegs, als Sie zu Ihrem Zelt zurückgelaufen sind?«
Lechner wandte sich dem Revierleiter zu, dessen massiger Körper den ranken und schlanken Linkohr halb verdeckte. »Einen Twingo – so einen Kleinwagen? Nein.«
»War nur eine Frage«, gab sich Watzlaff zufrieden. »Hätte doch sein können. Sie waren um diese Zeit ja sicher nicht der Einzige, der sich im Gelände aufgehalten hat.«
Noch ehe Lechner antworten konnte, schob Watzlaff eine weitere Frage nach: »Und einen Gunnar Koch kennen Sie auch nicht?«
Lechner schüttelte verständnislos den Kopf. Unterdessen brachte der Chefermittler einen weiteren Namen ins Spiel. »Und Werner Heidenreich? Haben Sie von dem schon mal was gehört?«
Lechners Gesichtszüge verrieten Unsicherheit. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er zu überlegen, was diese Frage bedeuten konnte. »Heidenreich«, echote er, »ja, klar. Ein alter Spezi von mir, wenn ich das so ausdrücken darf.« Er zeigte wieder das gequälte Lächeln und hielt inne. »Wieso fragen Sie mich nach ihm? Er ist auch ein Gegner des Tunnels da drüben.«
Häberle, Watzlaff und Linkohr sahen sich an.
»Ist irgendwas?« Lechner schluckte.
»Herr Heidenreich ist tot« Häberle sagte es ruhig und ging. »Erstochen. Vergangene Nacht. Er ist unser Opfer.«
»Nein!« Lechner wurde kreidebleich. »Das kann nicht wahr sein!« Er blickte sich Hilfe suchend um. Doch die Gesichter der anderen blieben verschlossen.
16.
Katrin Fellhauer war eine zierliche Person, ein bisschen mädchenhaft, jedenfalls für ihr Alter, das bei Mitte 50 liegen musste, sehr jugendlich, wie Speckinger es empfand. Trotzdem hat ihr Blick etwas Trauriges und Verträumtes, dachte der Kriminalist, als er ihr in der kleinen Einliegerwohnung in dem Filstalort Salach in das Ess- und Wohnzimmer folgte. Eigentlich war er schon viel zu müde, um noch eine weitere Befragung vorzunehmen. Seit Stunden hatte er kaum gegessen, nur geschwitzt und sich auf die Angaben seiner Gesprächspartner konzentriert. Stichwortartig schrieb er das Gesagte im Auto nieder. Der Gedanke, dass er die Notizen später im Büro noch abtippen musste, um sie auf diese Weise allen Kollegen zugänglich zu machen, bereitete ihm sogar körperliche Schmerzen. Sein Rücken
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