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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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geben – falls es überhaupt eine Kostenstelle oder gar eine Versicherung für derlei Schaden an geschäftlich genutzten Privat-Pkws gab. Sander erinnerte sich an jene Schneekatastrophe, als er mit dem Fotografen auf die Albhochfläche gefahren war, um über die ›weiße Hölle‹ zu berichten, und sie hoffnungslos mit dem Auto im Schnee stecken geblieben waren. Nachdem sie ein Landwirt mit dem Traktor befreit und vor dem Erfrierungstod gerettet hatte, hatte er dem Mann – es war noch zu D-Mark-Zeiten gewesen – voller Dankbarkeit einen 20-Mark-Schein in die klammen Hände gedrückt. Als Sander später diese Ausgabe von der Geschäftsleitung ersetzt bekommen wollte, lautete die erste Frage, ob er sich von dem Landwirt denn eine Quittung habe geben lassen. Eine Quittung, nach einer schwierigen Abschleppaktion bei Schneesturm und minus 15 Grad. Als ob einer von ihnen so etwas dabeigehabt hätte. Sander konnte sich köstlich über derlei bürokratische Verfahrensweisen amüsieren. Jedenfalls rief ihm seither regelmäßig, wenn er bei schlechtem Wetter auf Reportage ging, die Sekretärin stichelnd hinterher, ob er denn auch seinen Quittungsblock nicht vergessen habe.
    Es war schon halb elf, als er die Redaktionsräume betrat, in denen die Jalousien weit nach unten gefahren waren, weil die meisten Kollegen die Sonne offenbar scheuten oder es für die Monitore zu hell war. Sander erinnerte dies immer an den Tower im Stuttgarter Flughafen, wo die Fluglotsen auch bei gedämpftem Licht vor ihren Radarbildschirmen saßen.
    Die Frage, was es Neues gebe, war natürlich nicht zu vermeiden. Sander beschränkte sich jedoch auf den allgemeinen Hinweis, dass er schon in aller Frühe ein paar Fragen mit seinen Schulfreunden habe klären müssen. Das nächtliche Treffen verschwieg er – ebenso natürlich die zerstochenen Reifen. Wie er diese eines Tages ins Spiel bringen sollte, um die Kosten erstattet zu bekommen, war ihm ein Rätsel. Vielleicht würde er den Geschäftsführer und Verleger schon mal einweihen. Das war immerhin ein Mann, der mit beiden Beinen auf dem Boden stand und nicht zu jener Sorte kaltschnäuziger Manager zu zählen war, die in ihren Mitarbeitern nur Marionetten oder – noch schlimmer – Sklaven sahen. Aber dieses Gespräch musste ja nicht heute stattfinden.
    Redaktionsleiter Kauz akzeptierte Sanders Zurückhaltung, wusste er doch, dass für die morgige Ausgabe auf jeden Fall wieder ein Aufmacher für die erste Lokalseite herausspringen würde.
    »Sie sind aber schon ganz schön verschwitzt«, merkte Kauz kritisch an.
    Sander war für einen Augenblick aus dem Konzept gebracht. »Wieder ziemlich schwül heut«, war alles, was ihm als Antwort einfiel, und er bemerkte, dass Kauz Zweifel daran hatte, dass allein dies für Sanders abgekämpftes Aussehen verantwortlich war. Doch die distanzierte Zurückhaltung des Redaktionsleiters gebot jetzt keine längere Diskussion.
    »Sie machen wieder was?«, bemerkte Kauz, worauf Sander erklärte, dass er selbstverständlich nachhaken werde und es mit Sicherheit rund 100 Druckzeilen hergeben würde. Dann war er froh, dass Kauz keine Details wissen wollte und die Kollegin der lokalen Kultur offenbar noch gar nicht da war, denn sonst hätte sie längst über den halbhohen Aktenschrank hinweg eine Menge Fragen gestellt. Die Sekretärin von schräg gegenüber hatte zwar aufmerksam gelauscht, musste sich dann aber einem Anrufer widmen, der offenbar bereits zum fünften Mal sein Anliegen wiederholte. Da halfen auch das genervte und schon mehrfach angebrachte »Also, dann machen wir es so …« der Sekretärin nichts.
    Sander tat so, als vertiefe er sich in die eingegangenen E-Mails, doch heute interessierten sie ihn überhaupt nicht. Er überflog nur kurz die Absender, aber es war keiner dabei, der Neues verhieß. Er blätterte in seinem kleinen Notizblock, in den er noch in der Nacht alles, was ihm in Erinnerung geblieben war, geschrieben hatte. Diese Details wollte er jetzt in einem Word-Dokument abspeichern, denn seine Notizen hatte er so flüchtig hingekritzelt, dass er sie später möglicherweise nicht mehr entziffern konnte.
    Als er das Esslinger Kennzeichen des Geländewagens abtippte – die Buchstabenkombination › WH ‹ und die dreistellige Ziffer –, hielt er inne. Es musste einen Weg geben, an den Fahrzeughalter zu gelangen, ohne dass Häberle und seine Mannschaft hellhörig wurden. Bei aller Freundschaft zu dem Chefermittler – aber das, was er bis ins

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