Glasscherbenviertel - Franken Krimi
wie viele Lebkuchen mitnehmen dürfe.
Um halb acht klingelte Hackenholts Telefon. Es war die Kollegin aus Eichstätt, die ihn auf den neuesten Stand in Sachen Rojin Barzani bringen wollte. Yvonne Kraus hatte seit Hackenholts gestrigem Anruf einen Telefonmarathon hinter sich, wobei ihr die Opferschutzbeauftragte von der Zeughauswache eine immense Hilfe gewesen war. Während sie selbst mit Rojin gesprochen hatte, hatte sich die Nürnberger Beamtin um die Kontakte zu den Behörden gekümmert und dort Dampf gemacht.
»Rojin weiß jetzt, was auf sie zukommt, wenn sie von hier fortgeht: Sie wird alles hinter sich lassen. Nur eben allein und nicht wie geplant zusammen mit ihrem Freund. Trotzdem ist sie dazu bereit. Ab heute wird sie nicht mehr unter der neuen Handynummer zu erreichen sein. Das Telefon melden wir wieder ab. Deine Kollegin und ich haben gestern noch kreuz und quer durch die Republik telefoniert und eine Jugendeinrichtung in Hannover gefunden, die Rojin aufnehmen wird. Gerade eben ist per Fax die Bestätigung der Kostenübernahme durch das Jugendamt gekommen.«
»Das ist großartig.«
»Ja, alles läuft wie am Schnürchen. Die Sachbearbeiterin vom Jugendamt war sehr verständnisvoll, eine bessere Ansprechpartnerin hätten wir uns nicht wünschen können.«
»Wie kommt Rojin nach Hannover?«
»Ein Kollege und ich fahren sie gleich rauf. Sie hat zu viel Angst, als dass wir sie ohne Begleitung mit dem Zug fahren lassen könnten. So kann sie heute noch ihr neues Domizil beziehen und hoffentlich zur Ruhe kommen.«
»Sehr schön. Wie sollen wir das mit ihrer neuen Adresse handhaben? Ich brauche die Angaben für die Akten. Eigentlich müsste es sogar eine ladungsfähige Anschrift sein, weil sie im Prozess gegen den Täter aussagen müssen wird.«
»Wenn ich dir ihre Kontaktdaten gebe und du sie in den Unterlagen vermerken würdest, dann könnte der Nebenkläger sie sehen, wenn er Akteneinsicht verlangt. Im Mordfall Azad Barzani wären das Rojins Mutter oder ihre Brüder. Das Risiko dürfen wir nicht eingehen.«
»Was sollen wir dann machen?«
»Am besten schreibst du einen Aktenvermerk, dass dir als Sachbearbeiter die Adresse bekannt ist und jeder Kontakt zu Rojin über dich zu laufen hat. Dem Staatsanwalt und dem Ermittlungsrichter gegenüber kannst du sie herausgeben, sobald sie um den Ernst der Situation wissen. Die Adresse darf nur nie in den Ermittlungsakten landen und muss immer mit einem Sperrvermerk versehen werden.«
»Okay, das habe ich so weit begriffen.«
»Und keinesfalls darfst du dir die Anschrift zusammen mit Rojins Namen notieren. Wenn du mal nicht da bist und jemand anruft, könnte es sonst passieren, dass sie einer deiner Kollegen versehentlich herausgibt.«
»Aber doch nicht, wenn ich einen Sperrvermerk dazuschreibe«, protestierte Hackenholt.
»Sei trotzdem vorsichtig. Ich habe mich mit deiner Kollegin geeinigt, alles, was mit Rojin zu tun hat, mit ›Sonnenaufgang‹ zu kodieren. Das ist die Bedeutung ihres Namens.«
Hackenholt seufzte. »Also gut. Dann gib mir eben die Adresse, unter der man den ›Sonnenaufgang‹ in Zukunft erreichen kann. Und bitte auch die dazugehörige Telefonnummer.«
»Aber alles nur für den Dienstgebrauch.«
»Wofür sollte ich die Daten denn sonst verwenden? Also wirklich!« Allmählich fragte sich Hackenholt, ob Yvonne Kraus es mit ihren Belehrungen nicht ein bisschen übertrieb. Es kam ihm fast so vor, als hätte er eine Dame vom Verfassungsschutz in der Leitung.
Plötzlich klopfte es am Türrahmen. Er schaute auf und entdeckte Lisbet Belzl mit ihrem Wahrzeichen: einem überdimensionierten, abgewetzten alten Aktenkoffer.
»Komm rein und setz dich hin.« Er winkte zum Besucherstuhl, wandte sich dann aber wieder seinem Gespräch zu und notierte die Kontaktdaten, die ihm endlich anvertraut wurden.
»Magst du einen Kaffee? Ich weiß allerdings nicht, ob heute Brasilien Yellow Bourbon oder Guatemala El Bosque im Angebot ist.«
Belzl warf Hackenholt einen argwöhnischen Blick zu. »Für mich tut’s auch einer aus dem Automaten.«
»Tut mir leid, Frau Belzl, mit etwas derart Profanem würde sich der Kollege Wünnenberg nie zufriedengeben. Sei froh, dass er gerade unterwegs ist, sonst würde er dir einen einstündigen Vortrag über die hohe Kunst des Kaffeekochens halten.«
»Na, mit genügend Milch und Zucker wird aus jedem Gebräu etwas Trinkbares.«
Beherzt griff sie zur Milchtüte und füllte die Tasse randvoll auf, sodass man beim besten Willen
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