Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
kaum. Das Sprechen kostete Melanie Mühe.
»Entschuldige, Melanie. Das ist alles wegen mir geschehen.«
»Nein.« Melanies Lider senkten sich, während ihre Finger über die Decke strichen.
Camillas Hals schnürte sich nur noch weiter zusammen. »Wenn du mir nicht geholfen hättest, wäre das nicht passiert.«
»Bilde dir nichts ein.« Melanie quälte sich ein Lächeln auf die Lippen. »Das war Grimm. Nun weiß ich, was er mit dir und Theresa gemacht hat.«
»Hast du ihn gesehen?« Ihr Herz hämmerte plötzlich. Egal wie schlimm die Situation war, so hatte sie doch etwas Gutes. Grimm musste sein Versteck verlassen.
Sie verstand nur nicht, was ihn dazu bewogen haben mochte. In Nathanaels Bunker war er ein anderer gewesen, gefährlich, klar, zugleich aber auch ein Opfer der Umstände. Das Mitleid für ihn kam nicht von ungefähr. Warum reagierte er plötzlich wie ein in die Ecke gedrängtes Raubtier?
»Ich habe seine Persönlichkeit gespürt. Sie hat mich vollkommen ausgehöhlt.« Melanies Stimme verlor sich.
Das konnte Camilla nachvollziehen. Er war auf seine Art grausam, unbezwingbar. »Geht es denn?«
Melanie bewegte leicht den Kopf.
Fraglos hatte Grimm tiefe Wunden hinterlassen. Ähnlich wie Chris litt Melanie unter dem Angriff. Selbst wenn sie diese physischen Schäden gut überstand, würden ihre Erinnerungen ewig festhalten, was für ein Monster in ihrem Bewusstsein getobt hatte. Dagegen konnte Camilla nichts unternehmen, aber vielleicht gegen die Gehirnblutung. Wenn Melanie nicht bald auf die Füße kam, würde ein Rest von der Panik, die Grimm verursachte, zurückbleiben. Das war nicht gut.
Camilla schloss die Lider. Vielleicht klappte es. Sie vertraute auf ihre Gefühle und Wünsche.
Vorsichtig stützte sie sich auf der kühlen Decke ab, bevor sie sich über Melanie neigte und ihre Stirn gegen Melanies lehnte.
»Was …«
Chris ergriff Melanies Hand. »Lass Camilla einfach tun, was sie für richtig hält.«
Die schwache Gegenwehr, die Camilla für einen Augenblick gespürt hatte, verwehte. Sie atmete Melanies Duft ein und ließ sich in ihren Gefühlen zurücktreiben. Der Moment, als Melanie sie umarmt hatte und versuchte, für sie da zu sein, wurde präsent. Ein Nachbild jener ersten Nacht legte sich über die Realität. Melanies Präsenz erfüllte ihre Welt. Vitalität und Stärke durchflossen sie. Wessen Kräfte waren das? Sie war sich nicht sicher. Je mehr sie sich darauf konzentrierte, desto stärker schwang Melanies Gegenwart mit.
Wärme durchströmte Camilla. Leise pochende Kopfschmerzen erwachten hinter ihrer Stirn.
Melanies Wahrnehmungen. Von Sekunde zu Sekunde nahmen die Beschwerden zu. Der Boden unter ihren Füßen wankte. Sie ignorierte den Schwindel, klammerte sich an das Gefühl der Stärke, das sie in der Nacht von Melanie aufnahm. Die Intensität der Kopfschmerzen nahm zu, bis sie schwarze Flecken in der Wirklichkeit hinterließen und hinter ihrem Sehnerv ein dunkler Hauch von nahender Ohnmacht pochte. Die Schmerzen ballten sich zu einem betäubenden Strudel, der alle anderen Empfindungen in die Tiefe riss. Lediglich ein Anflug von Übelkeit und Schwerelosigkeit ergriff sie in Wellen. Ihr wurde plötzlich so schlecht, dass sie husten und würgen musste. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, konnte sie kaum noch zurückdrängen. Ihr Magen krampfte ohne Unterlass. Diese Schmerzen …
Camilla suchte nach Halt, griff aber ins Leere. Der schwache Strahl des Sonnenlichts, der durch die Vorhänge drang, stach durch ihre geschlossenen Lider direkt in ihr Gehirn. Ihr Blut toste in den Ohren. Zugleich mischte sich ein hohes Pfeifen in den unerträglichen Lärm der Stille. Kalter Schweiß troff hinab. Feuchtigkeit rann über ihre Wirbel.
Verbissen stemmte sie sich gegen den Sturm ihrer Gefühle, stellte sich gegen diese Wand aus Schmerzen. Instinktiv rammte sie die Füße fester in den Boden, machte sich bereit, durchzubrechen, während sie sich innerlich zusammenkauerte, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Ein weiteres Mal brandeten die Schmerzen über sie und überfluteten ihren Geist, bevor sie herabsanken und versickerten. Plötzlich umgab sie nur noch stille Entspannung, als würde sie vom Boden abheben, auf den sie zuvor niedergedrückt worden war. Taumelnd fuhr sie zurück und prallte gegen den Nachttisch. Wasserbecher und Flasche fielen hinab.
Jemand griff nach Camilla und umfing sie. Christoph. Sie sank gegen ihn, bevor sie sacht die Lider hob. Die Welt drehte
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