Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
fühlt.«
So viel Sensibilität hätte sie Habicht nicht zugetraut. »Stand das nicht außer Frage? Mein Vater ist total eifersüchtig und überdies ein absoluter Feigling.«
Habicht schwieg einen Moment. »So würde ich das nicht sagen.«
»Wie denn sonst?«
Chris reichte ihr einen gefüllten Plastikbecher. »Camilla hat schon recht, wenn sie ihn einen Feigling nennt. Wir haben eine Verantwortung, die uns alle vorangegangenen Generationen aufgebürdet haben, weil sie sich dem Problem nicht gewachsen fühlten.«
Habicht nickte. »Das ist, was ich meine. Er fühlt sich durch dich bedroht. Du kennst dich in …« Er zögerte. Es kostete ihn Überwindung, Ancienne Cologne auszusprechen. »… dieser Stadt aus, weißt vermutlich über viele Hintergründe Bescheid, ohne dieses unbewusste Wissen anwenden zu können. Du handelst furchtlos und konsequent. Vermutlich weißt du sogar über ihn etwas, ohne dass es dir klar ist.« Er hob die Schultern. »Zusätzlich bist du mit Camilla zusammen. Das sind alles nachvollziehbare Faktoren.«
Christoph war eine Bedrohung für ihren Vater. Sein Ansehen stand auf dem Spiel. Durch dieses alberne Hin und Her in der vergangenen Nacht hatte ihr Vater seine Integrität und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Sie wusste nicht einmal mehr, ob sie ihn nur verachtete oder so verabscheute, dass sie alle Verbindungen kappen würde, sobald sie nach Frankfurt zurückkehrte.
»Mag sein, aber von meinem Vater habe ich gestern nur eins erfahren: dass er lieber wegläuft, als sich einem Problem zu stellen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich konnte nicht einmal herausfinden, ob er möglicherweise besondere Gaben hat.«
»Ich verstehe.« Habicht neigte sich vor. »Sie sind auf dem Weg hierher.«
Die Worte elektrisierten sie. »Nur das nicht.«
»Beruhige dich, ich würde sie ohnehin nicht abreisen lassen.«
Wirklich erleichtert fühlte sie sich nicht. Die beiden wollte sie als Allerletzte sehen müssen.
»Warum machen Sie das?«, fragte Chris misstrauisch.
Die Antwort lag für Camilla auf der Hand. »Weil er dich und mich in der Unterwelt braucht.«
»Nichts ohne Hintergedanken.« Verärgert knurrte Chris.
Habicht zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
Camilla ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Warum glauben Sie uns eigentlich, ohne weiter zu hinterfragen? Sie haben sich doch gegen alles gewehrt, was nicht in Ihr Schema F fiel.«
Chris stürzte den Becher Wasser hinab und zerknüllte das dünne Plastik. »Die Frage beschäftigt mich allerdings auch.« Habicht wandte sich ab. Er starrte eine Weile aus dem Fenster.
»Bekommen wir auch Antworten?«, fragte Camilla.
Mühsam atmete Habicht durch, schwieg aber.
Wahrscheinlich wusste er keine Antwort. Vielleicht gab es auch Hinweise, deren Querverbindungen er erst gestern in Zusammenhang mit dem Angriff auf Melanie gezogen hatte, oder er ging nach seinen Gefühlen. Aber das sah Habicht nicht ähnlich.
Unvermittelt wandte sich Habicht zu ihr um. Er wirkte unausgeglichen, unsicher vielleicht. In seinen Augen las sie widerwilliges Verständnis.
»Ich war im letzten Semester meines Studiums, als Andreas an die FH kam und mit seinem Kommissaranwärter anfing.«
Sollte das seine Lebensbeichte werden? Irritiert beobachtete sie Habicht, der unbeirrt weitersprach.
»Zu Beginn hatten wir wenig miteinander zu tun, lernten uns aber im Studentenwohnheim besser kennen. Unsere Interessen deckten sich bis zu den Hobbys und ich war von seiner Art, seiner Intelligenz und dem Eifer begeistert. Wenn wir gemeinsam unterwegs waren, hat er mit mir die Mädels reihenweise abgeschleppt.«
Davon kam garantiert die Hälfte nicht wieder. Sie sprach den Gedanken nicht aus, aber es war interessant zu sehen, dass Habichts harte Schale Sprünge bekam. Für ihn ging es bei Grimm um einen Freund, von dem er nie angenommen hätte, ausgenutzt zu werden.
»Als ich später im LK1 bei Bernd anfing, bekam ich die undankbare Aufgabe, Vermisstenkarteien durchzuarbeiten und die Anverwandten aufzusuchen.«
Wahrscheinlich bekam jeder Berufsanfänger die unliebsamen Jobs untergejubelt. Das erwartete sie wahrscheinlich auch irgendwann, wenn sie im Arbeitsleben stand.
»Unter den angegebenen Namens- und Bilddaten stieß ich auf ein paar Mädchen, mit denen wir etwas hatten.«
Bedrückt wechselte sie einen Blick mit Chris, der seine Finger wieder in ihre verschränkt hatte. Das war eine glatte Bestätigung ihrer Überlegungen. Die Handynummern in Grimms Portemonnaie sprachen
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