Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
ebenfalls dafür. Wahrscheinlich ärgerte Habicht sich jetzt darüber, nicht früher Zweifel gegen seinen Freund gehegt zu haben.
»Sie galten als vermisst. In Absprache mit Bernd habe ich nach Gemeinsamkeiten gesucht, Parallelen untereinander.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Außer der Tatsache, dass sie zwischen sechzehn und fünfundzwanzig waren und ziemlich gut aussahen, stimmte kein Detail überein. Ein roter Faden, der sich durch alle Morde zog, war nicht vorhanden. Dieser Mörder schien ziellos vorzugehen. Die Mädchen stammten aus allen Gesellschaftsschichten und gehörten unterschiedlichsten Szenen an. Nicht einmal Haarfarben oder Nationalitäten deckten sich.«
Camilla dachte an die lüsternen Blicke, mit denen Grimm Theresa ausgezogen hatte. Das gute Aussehen war es.
»Einige Mädchen, deren Verschwinden ich überprüfte, tauchten auch wieder auf, teilweise in anderen Städten, zwei in anderen deutschsprachigen Ländern. Die meisten hatten sich schwängern lassen und zu viel Schiss, sich zu Hause blicken zu lassen. Einige sind abgerutscht.« Er wies auf Chris. »Punks halt.«
Mit stoischer Gelassenheit nahm Chris den Seitenhieb hin. Er kommentierte nicht, sondern wartete ab. Offenbar war es eher eine Feststellung Habichts, keine Boshaftigkeit, die sich gegen Chris oder sie richtete.
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. »Andere wurden tot aufgefunden. Auch die Mädchen, mit denen wir beide …« Den Satz ließ er unbeendet. Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Er tat ihr leid.
»Damit begann auch die neue Mordserie in Berlin. Ihnen wurden die Augen noch bei lebendigem Leib herausgeschnitten. Die Mädchen starben wahrscheinlich an dem Körperschock oder verbluteten. Danach wurden ihnen Gliedmaße abgetrennt und Organe entnommen.«
Die Härchen auf Camillas Unterarmen richteten sich auf. Theresas offener Brustkorb, das Herz, das ihr fehlte, und vor allem das grausam entstellte Gesicht, in dem die leeren Augenhöhlen klafften wie Krater.
»Die Medien bekamen nur wenige Informationen. Wir wollten dem Mörder immer einen Schritt voraus sein. Wenn wir ihn unter den Verdächtigen hätten, sollten ihm Details bekannt sein, die sonst nur unserem Team und dem gerichtsmedizinischen Labor geläufig waren.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und atmete tief durch. »Damals begannen wir, ein eng gestecktes Überwachungsnetz zu installieren. Uns standen etliche andere Abteilungen zur Verfügung. Unser Team belief sich kurzzeitig auf mehr als vierzig Mann und Unterstützung verschiedener anderer Einheiten.«
Seine Worte erinnerten sie an die alte Stahlnetz-Serie, die sie als Kind gern mit ihrem Vater gesehen hatte. Offenbar konnten die Beamten tatsächlich auf alle anderen Polizeiorganisationen zurückgreifen.
»Nachts gab es keinen Club, in dem nicht einige meiner Kollegen saßen. Die Streifen patrouillierten in kürzeren Abständen. Die Bahnhofspolizei ging alle Strecken ab, suchte auch die Geisterbahnhöfe nach Gesindel durch.«
»Wie bei Stahlnetz.«
Er ignorierte ihren Kommentar. Vermutlich befand er sich zu sehr im Redefluss.
»Schließlich mussten wir das Personal minimieren, weil wir keine Ergebnisse erzielten. Unser Chef konnte die Ausgaben nicht mehr rechtfertigen. Davon abgesehen gab es ja noch andere Verbrechen in der Stadt, auch wenn kein einziges diese Grausamkeit erreichte.«
Camilla nickte düster. Sie konnte sich zu gut vorstellen, dass das LK1 auch noch andere Fälle hatte, die geklärt werden wollten. Die Gruppe um Weißhaupt konnte sich nicht ausschließlich an dieser Mordserie festbeißen.
»Wie haben die Medien reagiert?«
»Das operierende Kommissariat ist von diversen Blättern wörtlich zerfetzt worden«, entgegnete Chris. »Die Artikel waren immer wieder der Aufmacher diverser Zeitungen.« Habicht seufzte. »Leider. Die Presse hat uns jeden Ermittlungsfehler angekreidet. Sogar unser Chef verdeutlichte uns, dass wir nun zwingend mehr mit der Öffentlichkeit zusammenarbeiten sollten, weil dieser Kerl fröhlich unter unserer Aufsicht weitermordete. Bernd äußerte damals zum ersten Mal den Verdacht, dass möglicherweise ein Beamter involviert sei. Interne Ermittlungen wurden aufgenommen. Bernd und ich wurden ständig zu Befragungen gerufen. Letzten Endes stellte man auch diese Aktivitäten ein.« Er lachte humorlos auf. »Gestern wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich die undichte Stelle war.«
Er und vermutlich auch Denise. Camilla wusste
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