Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
»Mache ich.«
Seine Hand legte sich sachte um ihre Taille, rief angenehme Wärme und einen wohligen Schauder wach. Ganz von selbst rückte sie näher, er zog sie noch fester an sich.
Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter, nahm seinen Geruch nach Seife und Zigaretten auf.
»Erzähl weiter.«
»Jetzt kommt der unschöne Teil.« Chris inhalierte ein letztes Mal den Rauch, bevor er den Stummel an der Sohle seiner Stiefel ausdrückte und auf seinen Tabakbeutel legte. Als er tief Luft holte, rasselte etwas in seinen Lungen. Seine Atmung beruhigte sich nur langsam. Besorgt strich sie über seinen Arm. Er hörte sich nicht gesund an.
Die Sorgen um Theresa und wegen des Sandmanns vertrieben den Gedanken.
»Theresa ist nicht weggelaufen, sondern wurde entführt. Sie ist nicht mehr am Leben. Das weiß ich sicher.«
Camillas Atem stockte, kein klarer Gedanken wollte sich fassen lassen. Für eine Sekunde wagte sie nicht einmal, sich zu bewegen. Nur langsam gewannen die Worte an Sinn.
»Tot?« Ihre Kehle schnürte sich zusammen, ein Stöhnen presste den letzten Lufthauch aus ihren Lungen. Ihre Augen brannten wie Feuer, aber die Tränen blieben aus. Anstatt des Schmerzes, auf den sie wartete, empfand sie nur dumpfe Leere. Dieses Gefühl beschämte sie. Sie schnappte nach Atem und lehnte sich an Chris’ Schulter, der seinen Arm um sie legte.
»Sag mir, wie sie gestorben ist.« Trauer, Unverständnis und Unglaube ballten sich zu einer eisigen Faust, die ihr Herz umklammerte. Nicht Theresa! Nicht ihre Gefährtin seit Kindertagen. Chris irrte. Er musste sich irren!
Seine Finger tasteten behutsam über ihre Schultern. Ihre Nackenhärchen richteten sich unter seiner Berührung auf, als er sanft über die Haut ihres Halses strich. Sie wollte seine Hand abschütteln, doch seine Nähe war das Einzige, was ihr Halt gab. Ließe er sie los, würde sie in einen bodenlosen, schwarzen Abgrund stürzen.
»Ich weiß nur, dass sie tot ist«, sagte er leise. Sein Atem steifte ihr Ohr und ihr Haar.
»Aber woher!«, begehrte sie auf. Sie warf so heftig den Kopf zurück, dass Chris ihr kaum noch ausweichen konnte. Mit brachialer Gewalt erwachte der Schmerz. Alles in ihr wehrte sich gegen die Vorstellung, dass Theresa nicht mehr lebte. »Woher, Chris!«, beharrte sie eisern. Die Sehnsucht nach seiner Nähe schwang in Wut um. Feuer rann durch ihre Adern. Sie schlug unbarmherzig gegen seine Brust.
Er zuckte immer wieder zusammen, sagte aber nichts, sondern presste sie noch fester an sich, sodass sie kaum noch zu Atem kam. Ihre Hände krallten sich in seinen Pulli. Theresas Verlust und seine Wärme, die er ihr freiwillig gab. Sie fühlte sich schuldig an beiden. Tränen schossen in ihre Augen. Sie weinte, nicht aus Trauer, sondern aus Scham über ihr Verhalten.
Seine große Hand legte sich wieder in ihren Nacken und streichelte sanft. Camilla hob den Kopf und sah Chris aus tränenverschleierten Augen an. Sein Gesicht war eine Grimasse der Anspannung.
Camilla erschrak. Christophs Kiefer mahlten aufeinander.
»Ich weiß davon, weil ihre Seele hier ist und einen anderen Körper hat.«
Die Worte hallten in ihr nach, weckten Zweifel. Dennoch las sie aus seinem Verhalten, dass er es ernst meinte. Die Art, wie er sie betrachtete, und die Anspannung in seinem Gesicht waren echt. Sein Blick flackerte unstet, irrte durch den Raum, als hätte er etwas Schreckliches gesehen. Für eine Sekunde erwachte die aberwitzige Idee, dass er Theresas Mörder sein könnte. Sie verbannte diese Vorstellung sehr schnell wieder. Ihr Mund klaffte auf, aber es gelang ihr nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Theresas Verlust war mehr, als sie ertragen konnte.
Ihre Seele ist in einem anderen Körper .
Dieser Satz kam ihr bekannt vor. Er trug den gleichen Beigeschmack wie das, was Amadeo ihr gesagt hatte. Seine Worte nahmen in ihrer Vorstellung Gestalt an. Sie sah einen mechanischen Menschen vor sich, der Theresas Seele und Bewusstsein angenommen hatte. Je intensiver sie sich konzentrierte, desto dumpfer und fremder wurde der Gedanke. Geistig kam sie der Lösung nicht näher. Schließlich schüttelte sie das Bild ab. Jetzt erst spürte sie, dass sie sich vollkommen verkrampft hatte. Ihre Hände pressten gegen die Schläfen, ihre Zähne knirschten aufeinander und ihre Kiefermuskulatur tat weh. Sie versuchte, durch körperlichen Schmerz den geistigen Status Quo wiederherzustellen. Mühsam löste sie sich und ließ die Arme sinken. Alle Empfindungen wurden schwächer.
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