Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Protagonist der Geschichte, wurde von seiner Amme damit eingeschüchtert. Das Bild verfolgte ihn sein ganzes weiteres Leben. Olympia hieß die Frau, die er liebte, aber sie war nichts als eine Maschine aus Holz, Glas und Metall.
Camilla biss sich auf die Unterlippe. Augen – es ging in der Geschichte darum, dass sie die Seele eines Menschen waren.
Sie hob die Hand, führte die Bewegung aber nicht zu Ende.
»Das kann nicht sein«, flüsterte sie tonlos. »Es ist doch nur eine Geschichte.«
Kapitel 5
Olympia
U nruhig stand Camilla vor einer prächtig geschnitzten Haustür, die zu der verspielten Fassade eines Barock-Gebäudes gehörte, das frei stand. Im Licht einer Kugellaterne wirkte der gelbe Stuck neu und freundlich.
Mit sturer Vehemenz betätigte Chris die Klingelschnur. Im Haus schlug eine Glocke hektisch an.
»Willst du die ganze Straße aufwecken?«
Chris zuckte mit den Schultern. Er sah zu einem Fenster in der ersten Etage.
Camilla hatte Angst vor der Begegnung mit Olympia. Chris hielt sich dicht neben ihr, ohne sie zu berühren.
Hinter einem der Fenster bewegte sich ein Vorhang.
»Sie beobachtet uns.«
»Wahrscheinlich.« Chris drückte seine Zigarette an dem Türblatt aus und warf sie von sich.
Camilla folgte abwesend der Bewegung, blickte dann aber wieder an dem Haus hoch. Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Die Beschreibungen in dem Roman, an die sie sich erinnerte, lieferten nur eine ungenaue Vorstellung von Olympia. Sie wusste lediglich, dass diese Frau von unvergleichlicher Schönheit sein musste. In der Geschichte verfiel ihr nahezu jeder, der ihr begegnete.
Nervös biss sie wieder auf ihrem Lippenring herum.
Hinter dem Fenster flackerte ein schwaches Licht und nahm an Intensität zu.
»Stören wir nicht?« Camilla fehlte jedes Zeitgefühl. Seit ihr Handy keinen Strom mehr hatte, konnte sie nicht mehr sagen, ob es Tag oder Nacht war. Weil aber in Ancienne Cologne keine Person unterwegs war und hinter allen Fenstern Finsternis herrschte, nahm sie an, dass es spät abends oder früh morgens sein musste.
»Bis auf uns müsste so ziemlich jeder schlafen«, erklärte Chris.
»Auch sie? Sie ist doch eine Maschine, oder?«
Chris lachte leise. Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu, bevor ihre Augen wieder das Licht suchten. Sie konnte Olympias Weg verfolgen.
In jedem Zimmer, das sie durchschritt, flammte kurz Helligkeit auf.
»Sie hat eine menschliche Seele. Wie lang hältst du es ohne Schlaf aus, bevor du umkippst oder verrückt wirst?«
Camilla schnaubte. »Verrückt ist das hier! Und ich habe zwischendurch geschlafen.« Sie spähte zum Treppenhaus und beobachtete durch die farbigen Glasscheiben den Schimmer einer Lampe oder Kerze. Vage machte sie die schlanke Gestalt einer Frau aus.
»Wohn die ersten Jahre deines Lebens hier unten, und das Chaos da oben erscheint dir verrückt«, konterte Chris.
Leider konnte Camilla dem wenig entgegensetzen. Wenn das Dasein hier wirklich so unkonventionell und friedlich war, wie es den Eindruck machte, dann musste die Welt an der Oberfläche schrecklich sein.
Das Flackern wurde heller und bewegte sich rasch auf den Eingang zu. Camilla versteifte sich. Ihr Herz schlug bis zum Hals und sie spürte, wie Blut in ihre Wangen schoss.
Der Riegel wurde zur Seite geschoben. Ein Mechanismus knirschte, der vermutlich zu einem Schloss gehörte. Als sich die Tür öffnete, stand Camilla Olympia gegenüber.
Ein schöneres Gesicht konnte sie sich kaum vorstellen. Es war kindlich und doch reif, etwas elfenhaft Verträumtes lag in den ebenmäßigen Zügen. Ein wenig erinnerte es an eine Mischung aus Audrey Hepburn und Audrey Tautou . Langes schwarzes Haar lag gesittet über Rücken und Schultern. Es fiel ihr bis über die Oberschenkel und lockte sich in den Spitzen. Sie trug ein Schultertuch über ihrem weißen Rüschennachthemd. Selbst Camilla spürte, wie stark Olympias Zauber war. Sprachlos betrachtete sie die Schönheit.
Es war die Frau aus ihrem Traum, nur haftete an ihr nichts Erschreckendes. Vielmehr strahlte sie Ruhe und Weisheit aus. Einzig die riesigen, zweifarbigen Augen irritierten Camilla. Sie begegneten ihr mit Theresas wissendem und liebevollem Blick. Es stand außer Frage, dass sie ihrer Freundin gegenüberstand.
Camilla taumelte einen Schritt auf Olympia zu und umschlang sie so fest, dass einem Menschen die Luft weggeblieben wäre.
»Theresa!« Ihre Gefühle überspülten sie in einer Woge. Endlich war der Bann gebrochen.
Weitere Kostenlose Bücher