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Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Titel: Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Meurer
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Stärke«, fügte Chris sanft hinzu.
    Wieder nahm er ihr den Wind aus den Segeln. Irgendwie beantwortete er immer nur Kommentare und rhetorische Fragen, aber damit fing er sie auf, wenn sie an sich zweifelte.
    »Das ist richtig.« Olympia griff nach ihrem Glas. »Theresa ist Grimm in die Arme gelaufen. Aber sie ist nicht geflohen, wie du, obwohl sie sich gegen seine Beeinflussung wehren konnte. Sie hat alles mit sich machen lassen. Theresa bekam viel zu spät mit, dass sie ihre Chancen verpasst hat. Erst als der Sandmann ihr bei lebendigem Leib Herz und Augen herausgeschnitten hat …«
    Camilla zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen.
    Herz und Augen! , hallte es in ihrem Kopf nach. Wie bei der Leiche in dem unfertigen U-Bahnhof.
    »Wo hat er Theresa getötet?«
    »Nahe seines Labors«, antwortete Olympia.
    »Wo ist das?« Camilla kannte die Antwort bereits.
    »In der Nähe des Waisentunnels.«
    Offenbar war ihr deutlich anzusehen, dass ihr diese Information wenig weiterhalf, denn Olympia fügte hinzu: »Das ist ein blinder Tunnel zwischen der Museumsinsel und dem Alexanderplatz.«
    »Was ist ein blinder Tunnel?« Camilla kam sich ziemlich dumm vor. Unwissend.
    »Ein alter Bahntunnel, der gebaut, aber nicht genutzt wurde«, sagte Chris. »Der Waisentunnel ist Teil einer Bahnanlage, die im ersten Weltkrieg nicht beendet wurde und im zweiten in Abschnitten zu einem Luftschutzbunker umgebaut wurde.«
    »Ist ein Bahnhof dabei?«
    »Ja, in der Nähe der Spreeunterfahrung «, bestätigte Chris.
    Camilla schauderte. Sie erinnerte sich an das tropfende Wasser und das feine Rinnsal auf dem Boden. Sie biss die Zähne aufeinander. Wie nah musste sie dem Tod gekommen sein, als sie sich dort aufhielt? Unter dem warmen Stoff des Pullis stellten sich die Härchen an ihren Unterarmen auf. Sie begann zu frieren. Chris berührte mit den Fingerspitzen ihre Wange.
    »Du warst da?«, fragte er leise.
    Camilla nickte. Reden konnte sie nicht.
    »Sie muss Theresas Leichnam gefunden haben«, bemerkte Olympia nachdenklich. Die Mimik der Puppe war lebendig und menschlich. Sie hatte ihre Lippen fest aufeinandergepresst, bis sie nur noch fahle Striche in ihrem blassen Gesicht darstellten. Ihr Blick richtete sich an Camilla und Chris vorbei in die Unendlichkeit.
    Camilla schottete sich innerlich ab. Das konnte nicht sein. Die Frau, deren leere Augenhöhlen sie in der Dunkelheit angestarrt hatten, konnte niemals ihre Freundin sein. Sie hätte sie doch erkennen müssen. Sie hätte in dem blutigen Gesicht und trotz der grauenhaften Verstümmelungen ihres Oberkörpers das Mädchen sehen müssen, mit dem sie aufgewachsen war. Sie hätte ihre Freundin erkennen müssen. Ihre Gedanken verwoben sich zu einem wirren Knäuel. Schemenhafte Bilder geisterten vor ihrem inneren Auge. Camilla kniff die Lider zusammen, bis es schmerzte. Sie wollte die Erinnerungen nicht sehen. Sie schaffte das nicht, ohne zusammenzubrechen.
    »Erzähl ihr, wie du an Theresas Augen gekommen bist.«
    Scheinbar bekam Chris mit, dass sie alles hören wollte, aber nicht mehr imstande war, auch nur ein Wort hervorzubringen.
    »Wie immer«, antwortete Olympia geistesabwesend. »Ich habe ihm die Seele gestohlen.«
    Ihr schwindelte. Die Augen waren Olympias Seele. Sie hatte die Augen eines ermordeten Mädchens genommen, um …
    »Warum?« Camillas Stimme brach an diesem einen Wort.
    Olympia verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich nach hinten sinken. »Eine Seele altert und stirbt irgendwann, wenn sie die volle Spanne ihres Daseins ausgeschöpft hat«, sagte sie leise. »Meine Seele war alt und schwach. Sie teilte sich mit mir diesen Körper fast siebzig Jahre. Sie war dabei, mich zu verlassen.«
    Camilla beobachtete sie lange Zeit, bevor sie ihre Worte wiederfand. »Du bist ohne Seele tot, nur eine leblose Puppe?«
    Eine Weile sahen sie sich an, dann wandte sich Olympia ab und schüttelte den Kopf. »Ich lebe so lange, wie der Uhrwerkmechanismus in mir funktioniert.«
    »Du wirst aufgezogen?« Camilla blieb der Mund offen stehen.
    »Nicht mehr«, murmelte Olympia. »Ich bin von Amadeo und einigen anderen über die letzten zweihundert Jahre hinweg verändert und umgebaut worden. Wenn ich mich bewege, laufe ich nicht mehr Gefahr, auszugehen.«
    Die Vorstellung eines Uhrwerks von modernen Armbanduhren erwachte, die sich durch das Tragen selbst aufzogen, war lächerlich, aber vermutlich traf sie genau zu.
    »Deine Persönlichkeit«, sagte Camilla, »ist zu stark, um einer

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