Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
anderen Seele vollen Platz zu bieten. Das ist für mich, als hättest du eine Seele, unabhängig von den gestohlenen, die du nutzt.«
Olympia nickte wieder. »Das ist richtig. Aber ich kann meine Persönlichkeit nicht lange aufrechterhalten. Sie vergeht, wenn ihr Träger fehlt, die Seele und die Augen. Der Lebensfunke muss von einem Menschen sein, kein Teil einer Maschine.«
Vielleicht glaubte Olympia an diese Erklärung, aber Camilla zweifelte daran. Sie spürte ein bisschen von Theresas Gegenwart, nahm aber viel mehr die starke, zweihundert Jahre alte Frau wahr, die auf der anderen Seite des Tisches saß.
»Das ist nicht richtig, Olympia«, murmelte sie nachdenklich. »Du hast eine Seele, die sich nicht über die Augen anderer Frauen definiert.«
»Ja. Aber ich kann es nicht riskieren, ausgeschaltet zu werden«, sagte sie bestimmt.
Camilla ballte die Hände zu Fäusten. Die Worte verdeutlichten, dass das nicht Theresas Denkweise entsprach. Diese Frau verhielt sich berechnend. Kein Wunder, sie wollte nicht riskieren, zu sterben. Camilla hielt es nicht einmal für unwahrscheinlich, dass Olympia fähig wäre, zu töten.
»Was macht dich zu etwas so Außergewöhnlichem, dass du über Leben und Tod eines anderen Wesens entscheidest und dich seiner Seele bemächtigst?« Camilla hielt es nicht länger in dem Sessel.
Als Olympia die Lider hob und sich ihre Blicke begegneten, taten Camilla die Worte jedoch fast leid.
»Ich bin nur eine von vielen Puppen, war aber die Erstgeschaffene. Er hat nach mir noch viele andere gebaut, in der Hoffnung, dass sie ihm dienen und ihn lieben. Aber sobald er ihnen Seelen gab, begannen sie, ihn zu fürchten und versuchten, zu fliehen. Viele konnte ich retten und in die Freiheit führen. Sie kamen hier unter, bei Amadeo. Ich blieb, um ihm irgendwann das Handwerk zu legen. Aber es missglückte. Was danach folgte, war eine ausnahmslose Katastrophe. Wenige konnte ich beschützen. Für sie bin ich so etwas wie ihre Anführerin, die sie nie allein lässt.«
»Was weiter?« Camilla blieb demonstrativ vor Olympia stehen und visierte ihr Gesicht.
Olympia fuhr sich über die Augen. »Damals waren wir auf der Flucht, auf dem Weg hierher, als meine erste Seele starb. In mir blieb alles stehen.« Sie sprach langsam, regelrecht geduldig. »Ich war nichts als eine Puppe ohne Bewusstsein, die ihnen nicht helfen konnte, als der Sandmann uns fand und sie zerstörte. Mich nahm er mit und hielt mich gefangen, gab mir eine schwache, devote Seele. Aber Schwäche kann zu grausamer Stärke werden. Nach langer Zeit endlich war ich in der Lage, mich zu wehren und gegen ihn zu kämpfen. Ich sorgte für eine Revolte und tötete seine Diener. Danach floh ich mit wenigen, die auch heute noch um mich sind.«
Camilla begriff. »Du bist ihre Beschützerin.«
Olympia nickte. »Der Kampf hatte mich geschwächt und meine Seele starb. Amadeo gab mir neue Augen. Er stahl sie für mich vom Sandmann und baute sie mir ein. Danach achtete ich sehr genau auf die Anzeichen des Alters.«
»Das ist ein grausamer Teufelskreis.« Camilla räusperte sich, um die Heiserkeit hinunterzuschlucken. Sie griff nach der Wasserkaraffe.
»Da ist weitaus mehr«, sagte Chris, der sich erhob und sich streckte.
Camilla leerte das Glas in einem Zug. »Was meinst du damit?«
»Er ist davon abgekommen, Maschinen zu bauen, um ihnen Leben zu geben.« Sein Blick streifte Olympia. »Er baut sich eine lebende Puppe aus den Leichenteilen von Frauen und Mädchen, die er durch Grimm als schön genug empfindet.«
Camilla konnte nicht genau sagen, welche Gedanken ihr in der Sekunde durch den Kopf gingen, als Chris die Worte ausgesprochen hatte, aber sie erklärten zumindest, warum der Toten das Herz fehlte. Noch immer konnte sie das Bild nicht mit Theresa in Übereinstimmung bringen, obwohl ihr klar war, dass sie das irgendwann tun musste. Für einen Moment war sie froh, dass es nicht sie getroffen hatte. Vielleicht war sie nicht schön genug. Andererseits entsetzte es sie, dass Theresa dafür ihr Leben gegeben hatte. Erst nach Sekunden wurde ihr bewusst, dass der Sandmann nur Augen und Herz genommen hatte. Sie hatte Theresa immer als außergewöhnlich hübsch empfunden. Mühsam versuchte sie, sich das Gesicht ihrer Freundin in Erinnerung zu rufen. Es gelang nicht. Je länger sie nachdachte, desto eher grenzte sich alles auf Theresas schöne Augen ein.
»Warum hat er Theresa gewählt?«
»Weil sie schwach war und er eine devote Natur brauchte«,
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