Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Oberflächenbewohnern, andererseits fand sie in ihnen dieselben positiven und negativen Persönlichkeitszüge. Angst, Feigheit, Wut, Abscheu, Stärke und Fanatismus spiegelten sich in den Gesichtern wider.
Während Olympia die Ereignisse in Worte fasste, wagte niemand, ihr ins Wort zu fallen. Anschließend flammten leise Diskussionen auf, versiegten aber bald.
Camilla begriff. Sie waren zwar bereit, ihre Heimat zu verteidigen, aber nur, wenn es sein musste. Diese Leute bildeten keine Armee, die sich dem Sandmann stellen konnte. Dennoch befolgten sie Olympias Befehl, sich in Gruppen aufzuteilen und die einzelnen Häuser um Christophs zu durchsuchen. Fasziniert beobachtete Camilla das Treiben. Olympias Worte ergriffen auch sie. Die Art dieser Frau war zutiefst beeindruckend.
Was Camilla störte, war die Tatsache, dass Olympia von ihr verlangte, sich bedeckt zu halten oder am besten gar nicht mitzusuchen . Damit war auch Chris dazu verdammt, nichts zu unternehmen. Umso schlimmer war es für ihn, weit weg von dem Hundert-Meter-Radius nahe Amadeos Haus zu suchen.
»Wunderbar. Wir sind auf dem Abstellgleis gelandet!«
»Wie kontaktieren wir die anderen, wenn wir etwas finden sollten?«, fragte Camilla leise.
»Amadeo. Er kann mit uns allen auf seine Art in Verbindung bleiben und unter uns vermitteln. Erinnere dich an deine Flucht aus der Charité.«
Camilla schauderte. »Von dem will ich mir nie wieder im Schädel herumfuhrwerken lassen.«
»Anders geht es leider nicht. Walkie-Talkies und Handys funktionieren hier nicht.«
»Wird er uns wirklich helfen?«
Sie misstraute dem alten Irren mehr denn je. Davon abgesehen war Amadeo rachsüchtig und boshaft. Sie war sich seiner Hilfe nicht so sicher.
»Amadeo hat dich mit voller Absicht beschützt. Der Streit wird daran nichts ändern, Camilla«, entgegnete er.
»Klar, deswegen hat er versucht, mich zu manipulieren, zu belügen …« Sie brach ab. »Er ist skrupellos.«
Behutsam strich er ihr über den Rücken. »Du bist für ihn etwas Besonderes.«
Ah ja! Und wieso? Dieser Frage musste sie neben den dringlicheren Problemen ebenfalls auf die Spur kommen. Sie wandte sich nach den Suchtruppen um. Nachdenklich beobachtete sie die Personen. Sie entfernten sich langsam. Irgendwie kam ihr die Denkweise falsch vor. Camilla war sich sicher, dass Grimm sich nicht mehr in unmittelbarer Nähe von Chris’ Haus aufhielt. Offensichtlich wagte sich der Polizist nur wegen ihr so weit in feindliches Gebiet. Wo sie hinging, konnte er nicht weit entfernt sein. »Vielleicht treffen wir auf ihn«, sagte sie leise und rieb sich fröstelnd über die Arme.
»Wie kommst du darauf?« Chris blieb stehen und zündete sich die vorletzte Zigarette von Melanie an.
»Ganz offensichtlich will er mich loswerden. Rache nehmen oder etwas in der Art …«
»Oder dich zum Sandmann bringen?« Chris stieß den Rauch aus. »Erinnere dich an deinen Traum. Wahrscheinlich ist es genau das, was Grimm von dir möchte.«
Camilla tastete nach ihrem Hals. Für einen Moment glaubte sie, Feuchtigkeit daran zu fühlen. Sie zuckte zusammen und betrachtete ihre Finger. Natürlich rann kein Blut über ihre Hand. Trotzdem spürte sie, wie sich ein klebriger Film über ihre Haut legte und langsam durch ihr T-Shirt drang. Sie sah an sich hinab. Der Stoff klebte an ihrem Oberkörper, als wäre er nass. Alle Wärme wich aus ihr. Ein feines Rinnsal erreichte ihren Hosenbund. Entsetzt starrte sie auf den Cordstoff , der sich langsam dunkel färbte.
Dumpfer Schmerz drang in ihr Bewusstsein. Erst als Chris ihr eine Ohrfeige gab, erwachte sie aus ihrer Vision. Ihr schwindelte und ihr Magen schien sich zu verknoten.
»Was hast du gesehen?«, fragte Chris zum wiederholten Mal und hielt Camilla gleichzeitig in den Armen.
Bebend klammerte sie sich an ihn. Müdigkeit legte sich erdrückend schwer über sie. Bestimmt würden ihre Beine unter ihrem Gewicht zusammenknicken, wenn Chris sie losließ.
»Ich hatte das Gefühl, zu verbluten.« Ihre Stimme erstickte fast. »Der Schnitt unter meiner Kehle …« Noch immer fühlte sie den scharfen Schmerz des Messers.
Chris setzte sich auf den Boden und zog sie mit. Einige Minuten hielt er sie ruhig in den Armen.
Quälend langsam kam sie zur Besinnung und schob den Schmerz von sich. Sonderlich viel Kraft sammelte sie dennoch nicht. »Er ist in der Nähe.« Camilla richtete sich auf.
»Dann sollten wir von hier verschwinden und Hilfe holen.«
Sie nickte schwach. Plötzlich bemerkte
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