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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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einmal verdächtig, dass die Herren die alten Ausgaben der »Rätsel-Insel«
plötzlich sammelten und stapelweise aufbewahrten. Sie erklärten ihren Frauen
einfach, dass sie noch nicht alle Rätsel gelöst hatten. Selbst wenn sie beim
Studium der Seite fünf in flagranti erwischt wurden, konnten sie sich aus der
Affäre ziehen. Sie mussten nur den Kopf schütteln und Empörung vortäuschen,
etwa mit den Worten: »Frechheit! Man kauft sich eine Rätselzeitung - und dann
stößt man auf solche Schweinereien!«
      Weil
Fleisch nicht ohne Beilage serviert wird, gehörte zu der Nackten auf der Seite
fünf unwillkürlich ein Text dazu. Er sollte darüber Auskunft geben, wie das
osteuropäische Mädchen hieß oder von Freunden gern genannt wurde, wie alt es
war, wovon es träumte, warum es nackt war und was es sonst noch im Leben
vorhatte. Diese Texte schrieb Herr Preireif - 15 Jahre lang, jede Woche, jede
bis einschließlich der vergangenen. Da starb er. »Herzinfarkt«, hieß es. Man
fand ihn über ein Nacktfoto gebeugt. Seine letzten Worte waren schriftlich:
»Einmal mit der schönen Priscilla (23) in der Gartenlaube sitzen - davon träumt
wohl je ...« Es musste Preireif mitten im Satz erwischt haben. »Dabei war er
erst 47«, wussten die schockierten Kollegen. »Er hat sich zu viel zugemutet«,
hieß es darauf. »Er hat für seinen Job gelebt«, war man sich einig. »Er hat
sich in seine Arbeit hineingekniet«, behaupteten scharfe Beobachter.
    Max wurde
beauftragt, Preireifs Nachfolge anzutreten. Er war der einzige Junggeselle der
»Rätsel-Insel«. (Familienväter, die sich um den Job gerissen hätten, schieden
aus moralischen Gründen aus.) Außerdem traute ihm der Chef die notwendige
Phantasie zu. Man wusste ja, dass Max wöchentlich einen Hund beschrieb, der
weder sich noch irgendwen oder irgendwas bewegte. Da würde er angesichts
nackter Schönheiten vor Ideen nur so sprühen.
    Pro
Bildtext zahlte man ihm 300 Schilling. Wöchentlich wollte ihm die Bildredaktion
der »Rätsel-Insel« die Abzüge von fünf bis zehn Nacktfotos nach Hause schicken.
Er sollte jeweils eines davon auswählen und dazu einen kurzen Text erfinden.
Er musste nur aufpassen, dass er nicht ein und dasselbe Pinup-Girl mehrmals
unter verschiedenen Namen verwendete und mit unterschiedlichen Träumen und
Zukunftsplänen ausstattete. Das hieß: Er musste sich die Fotos gut anschauen,
bevor er darüber schrieb.
    Nun lagen
die ersten acht Slowakinnen, Polinnen oder blond gefärbten Aserbaidschanerinnen
auf seinem Schreibtisch. Nach halbstündigem Gustieren entschied er sich für
Foto Nummer drei. Die blonde junge Dame stand an einem Fotostudio-Sandstrand,
der echter wirkte als sie. Ihr Gesichtsausdruck war der einer blonden jungen
Dame, zu der der Fotograf soeben gesagt haben könnte: »Mit diesem Foto wirst du
wahrscheinlich nicht berühmt werden.« Aber sie verfügte über einen
herausragenden Körperteil, eigentlich sogar über zwei. Und dazu fiel Max
sofort der geeignete Bildtext ein: »Carla (19) hat zwar eine sehr empfindliche
Haut, aber sie kann stundenlang barfuß am Strand laufen, ohne sich von der
Sonne die Zehen verbrennen zu lassen. >Ich werfe mir meinen Schatten
selbst<, sagt die Schöne selbstbewusst.«
    Als er
seine Zeilen zum dritten Mal las, fand er sie eigentlich nicht mehr so gut.
Außerdem plagte ihn plötzlich das schlechte Gewissen, sein Honorar zu leicht
verdient zu haben. Nicht nur, weil er diesbezüglich von Kurt völlig aus der
Übung gebracht worden war, sondern vor allem auch im Vergleich zu Carla, die
für ihr Foto sicher nicht mehr kassiert hatte als er. Und die hatte sich
ausziehen, herumräkeln und weiß Gott was sonst noch alles machen müssen. Und
wenn es Gott nicht wusste, so bestimmt der Fotograf.
    Weil Max
ohnehin nichts Besseres vorhatte, beschloss er, zu jedem Foto mindestens drei
Bildunterschriften zu verfassen. Damit hatte er auch ein gewisses Polster für
Zeiten, in denen er die Nackten nicht mehr sehen konnte oder beschreiben
wollte. Nein, das Polster hatte er nicht. Denn die Texte waren großteils
unbrauchbar. Wahrscheinlich setzte er auch seine »Max'sche
Kreuzworträtselecke« aufs Spiel, würde er etwa den Text zu Bild Nummer fünf
abliefern, einer diabolisch dreinblickenden jungen Frau, der ein Fußmarsch von
Krakau nach Kattowitz in den erstaunlich muskulösen Beinen zu stecken schien.
»Olgas größter Wunsch wäre es, Männer dabei zu fotografieren, wie sie ihr
Nacktfoto anstarren und sich dabei

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