Glattauer, Daniel
lassen.) Sie rief den Namen »Kurt« öfter, verzweifelter, schriller
und hysterischer als sämtliche mit einem Kurt verheirateten Frauen dies im
Zeitraum zwischen Hochzeit und goldener Hochzeit zustande bringen konnten.
Vergeblich. Kurt war und blieb fort.
Max hatte
sich gerade hingesetzt, um Ludmilla (Foto eins) »in der Freizeit für ihr Leben
gern Pullover stricken« zu lassen, wobei er schon Angst vor der
unausweichlichen Pointe hatte, dass ihr im vorliegenden Fall die Wolle
ausgegangen sein dürfte. Da läutete es vehement an der Tür.
Es war
Katrin im gelben Raumanzug. Was man von ihr erkannte, sah nach hochgradiger
Verzweiflung aus. »Kurt ist verschwunden«, vermeldete sie atemlos. Max war erleichtert,
er hatte schon gedacht, es sei etwas passiert. »Ich habe den ganzen Park nach
ihm abgesucht, er ist plötzlich nicht mehr da gewesen. Was kostet so ein
Hund?«, fragte sie und tapste ihren Raumanzug ab, als würde sie ihre Geldbörse
suchen.
»Jetzt
beruhigen Sie sich einmal«, sagte Max. Ein schöner Satz, dachte er: Wird im
Film zu oft und im Alltag zu selten verwendet. »Wollen Sie einen Kaffee?« -
Auch ein schöner Satz, dachte er: Wird im Film zu selten, aber im Alltag leider
zu oft verwendet. »Kaffeeeee?«, rief Katrin entsetzt: »Wir müssen sofort zur
Polizei gehen und eine Vermisstenanzeige aufgeben. Dann müssen wir den Hund
noch einmal suchen. Er erfriert noch.« - Aber nein, dachte Max: Erfrieren wäre
Kurt erstens zu anstrengend gewesen.
Und
zweitens hatte er hundertmal eher Frostschutzmittel als Blut in den Adern. Ohne
seine Gedanken preiszugeben, klopfte er Katrin auf die rechte gelbe
Raumanzugschulter und sagte: »Kein Grund zur Aufregung. Er kann nicht weit
sein. Wir holen ihn. Okay?« - »Einverstanden«, sagte Katrin und reichte ihm
unabsichtlich die Hand (den gelben Raumhandschuh), als hätten sie sich nach
zähen Verhandlungen auf einen guten Kompromiss geeinigt.
Max zog
sich im Vorraum die Winterschuhe an. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, stand
Katrin bei seinem Schreibtisch und fragte: »Sind Sie ... äh ... Fotograf?« Ihre
Stimme war plötzlich rau und uncharmant. Sie hatte die Kapuze ihres Raumanzugs
zurückgeschlagen. Sie sah aus wie Winona Ryder, wenn sie gerade keine Männer
mochte. Max hatte vergessen, die Pin-ups wegzuräumen. Sie lagen ausgebreitet
nebeneinander. »Nein«, erwiderte er halblaut, »ich brauche die Bilder für meine
Arbeit.« - »Als Motivation sozusagen«, sagte Katrin. Sie sah aus wie Winona Ryder,
wenn sie gerade zelebrierte, keine Männer zu mögen. »Aber Verzeihung, das geht
mich eigentlich nichts an«, setzte sie nach und zog die Kapuze über den Kopf. Das
hätte Winona Ryder nicht gemacht. Max verzichtete darauf, die Sache mit den
Fotos aufzuklären. Er war froh, an die frische Winterluft zu kommen.
Kurt
fanden sie relativ rasch. Max fragte Katrin, an welcher Stelle sie den Hund zum
letzten Mal gesehen hatte. Dorthin stapften sie. »Hier muss er sein«, sagte
Max. »Hier ist niemand«, widersprach Katrin. »Kurrrrrrrrrrt!«, rief Max. Von
seinem »r« konnten knurrende Hunde noch etwas lernen. An der Schneeoberfläche
bröselte es leicht. Kurt war einige Meter darunter. Der Schrei hatte ihn
aufgeweckt. »Er hat sich einen Iglu gebaut«, stellte Katrin fasziniert fest.
Unmöglich,
dachte Max: Der Iglu muss sich um Kurt herum gebaut haben.
Kurt ging
es gut. Er war mit Katrins Schrecken davongekommen. Trotzdem trugen sie ihn zu
zweit bis vor die Haustür. Er schlief in ihren vier Armen und machte sich
schwer. »Wollen Sie noch auf einen Kaffee zu mir kommen?«, fragte Max. (Der
Satz war vorhin unter seinem Wert verkauft worden, dachte er.) »Danke, sehr
nett. Vielleicht ein andermal«, erwiderte Katrin. (Ein Satz, der sowohl im Film
als auch im Alltag eindeutig zu oft verwendet wird, dachte Max.) »Glauben Sie,
dass Sie den Hund zu Weihnachten nehmen werden?«, fragte er. »Ich denke
schon«, erwiderte Katrin. »Irgendwie mag ich ihn.«
10.12.
Montagabend
war Katrin bei ihrer Freundin Beate zum Essen eingeladen. Nein, nicht zum
Essen, sondern zum Zuhören, aber sie durfte dabei auch kurz essen. Kurz essen
genügte. Denn zum länger Essen war Beates Essen nicht geeignet. Es schmeckte
nicht. Es schmeckte nie. »Irgendwas muss ich falsch gemacht haben«, erkannte
zumeist auch Beate angesichts der nicht leerer werden wollenden Teller.
»Alles«, lag Katrin dann stets auf der Zunge.
Mit Beate
und dem Essen war es wie mit Beate
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