Glattauer, Daniel
aufrichtig, das frisch vermählte Paar um sein
beispielloses Glück zu beneiden. Aber der Brautkuss war kühl, die Ringe wurden
lieblos ausgetauscht. Die Intimität des Ehepaares bei der Hochzeitsfeier
erschöpfte sich in Dialogen darüber, ob das Weißbrot ausreiche, ob die Kapelle
zu laut oder leise spiele und welche Schwiegereltern sich wohler fühlten und
warum (nicht). Katrin gelang es nur für wenige Minuten, an Franziska heranzukommen.
Ihr fiel keine dem Anlass gerechter werdende blöde Frage als »Liebst du ihn
wirklich?« ein. »Wir passen gut zusammen«, erwiderte Franziska und lächelte.
Also: Nein.
Das Haus
in der Sackgasse blieb von da an gut abgeschirmt. Auch Katrin zählte zu den
Unbefugten, denen der Zutritt nur selten erlaubt war. Die Hochzeit ging nahtlos
in Franziskas Schwangerschaft über. Der Kontakt mit Katrin wurde immer
telefonischer. Nach der Geburt der Zwillinge war auch Telefonieren nur noch in
Ausnahmesituationen möglich - etwa wenn Leni und Pipa gleichzeitig schliefen.
Dennoch wollte sich Katrin nie an den Gedanken gewöhnen, dass sich ihre
Freundschaft mit Franziska ausgelebt haben könnte. Bei jedem der rar gewordenen
Treffen hoffte sie, die alte Franzi wiederzuerkennen.
Der Besuch
war unpassend, merkte Katrin, als es zu spät war. Die Wohnung war kindgerecht
verwüstet und roch nach Banane. Leni (oder Pipa) beschäftigte sich still. Sie
spielte mit den Blättern des Gummibaumes »Er liebt mich, er liebt mich nicht«. Pipa
(oder Leni) beschäftigte sich laut. Sie hatte fünf Pfannen aus der Küchenlade
geholt und ließ jede mit jeder zusammenkrachen. »Erschreck nicht, wie's hier
aussieht«, sagte Franziska und hielt Katrin zur Begrüßung den Ellbogen
entgegen. Katrin erschrak darüber, wie ihre Freundin aussah. Sie war
kindgerecht verwüstet und roch nach Banane. Außerdem hatte sie seit ihrer
stürmischen Phase gut zwanzig Kilo zugenommen. Allein ihre Haare wogen leicht
fünf Kilo. Für Körperpflege fehlte ihr anscheinend nicht nur die Zeit, sondern
auch der Grund.
»Wie
machst du das, dass du so schlank bleibst?«, fragte Franzi, obwohl sie es
wusste und obwohl es ihr egal war: Weil es Katrin eben nicht egal war. Leni
(oder Pipa) war der Gummibaum bereits zu kahl. Sie nahm Anlauf und sprang
Katrin an. Das rief die pfannendreschende Pipa (oder Leni) wach. Sie ließ das
Küchengerät fallen und hängte sich Katrin um den Hals. »Ihr zwei seid aber
stürmisch«, rief Katrin, in der Hoffnung, durch ein Machtwort der Mutter
befreit zu werden. Franzi setzte ein entschuldigendes »So-sind-Kinder«-Lächeln
auf. So waren Kinder, wenn einem die Kraft fehlte, etwas dagegen zu
unternehmen. »Süß sind sie«, sagte Katrin. »Zum Fressen«, dachte sie. Danach
sah man sich Fotoalben an: Leni und Pipa, mit eins, zwei, drei und jeweils
dazwischen. Die Kinder turnten indessen auf den Köpfen.
Bei der
Fertigpizza fielen persönliche Worte, nicht viele, Pipa und Leni waren ja
schließlich auch noch da und hörten keine Minute auf, daran zu erinnern. »Eric
ist mir fremd geworden«, sagte Franziska im gemütlichen Ton, in dem frühere
unbeschwerte Zeiten anklangen. »Eine Weile schau ich mir das noch an, dann
lasse ich mich scheiden.« Was genau sie sich anschauen wollte, ging im Kriegsgeschrei
der hungrigen Zwillinge unter.
»Und du?«,
fragte sie Katrin, vielleicht in der Hoffnung, etwas vom Leben zu erfahren.
»Ich bin verliebt«, erwiderte Katrin und war verblüfft über ihre Worte und wie
sie klangen. »Hab ich gleich gesehen«, sagte Franzi. »Und was kann er?« -
»Weiß ich noch nicht«, erwiderte Katrin. »Liebt er dich?«, fragte sie. »Weiß
ich noch nicht«, erwiderte Katrin. »Ist er gut im Bett?«, fragte sie. »Weiß ich
noch nicht«, erwiderte Katrin. »Kriegst du eine Gänsehaut, wenn er dich
küsst?«, fragte sie. »Weiß ich noch nicht«, erwiderte Katrin. »Willst du es
nicht wissen?«, fragte sie. »Oh ja, na sicher«, erwiderte Katrin und lächelte
verlegen. »Was tust du dann hier bei mir?«, fragte Franziska. - Das war eine
gute Frage, dachte Katrin. Sie half noch mit, die Kinder wenigstens in eine
Vorstufe der Nachtruhe zu bringen und verabschiedete sich mit einer
angedeuteten Umarmung von ihrer Freundin. Pipa und Leni hängten sich
dazwischen.
Daheim war
Katrin außer Atem. Sie war den Weg durch den Park gelaufen. Sie hatte das dringende
Verlangen, von Max geküsst zu werden. Sie wollte sich auf schnellstem Wege in
die Nähe einer Situation bringen, in der dieses
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