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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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ganze
Jahr über keinen Mund hatten, lachten plötzlich. Die keine Stimme hatten,
wünschten »Frohe Weihnachten«. Die keine Hände hatten, schüttelten einander
welche. Die keine Augen hatten, zwinkerten einander gütig zu. Die keine Ohren
hatten, zogen sich aus dem nächstbesten Warenhaus-Lautsprecher »Last
Christmas« hinein. Die das Haus nie verließen, weil ihnen die Umwelt zu eng und
der Gestank zu groß war, standen verklärten Gemütes im dichten Gedränge übervölkerter
Festtagsabteilungen, zogen glitschige Kabeljauniets aus muffigen Vitrinen an
Land und liebten ihre Nächsten, die genauso taten wie sie.
    Max
stellte daheim den Baum auf und bewarf ihn mit Lametta. Katrin telefonierte
inzwischen. Es waren wichtige, dringliche, geheime Telefonate. Sie schien etwas
zu planen. Danach setzten sie sich auf die orangerote Ledercouch. Danach
legten sie sich auf die orangerote Ledercouch. Danach kippten sie von der
orangeroten Ledercouch auf den Parkettboden. Danach übersiedelten sie ins
Bett. Es gab keinen Kuss. Es gab auch keine Nachfrage nach einem Kuss. Max war
ein bisschen irritiert. So konnte die Geschichte nicht ausgehen. So kuss- und
wortlos leider nicht.
    Am
Nachmittag waren die Schulmeister-Hofmeisters zu Besuch geladen. Das kam für
alle Beteiligten überraschend (außer für Kurt). Katrin wollte ihre Eltern
spontan für immer glücklich machen. Max hatte Lust auf die Illusion von
Schwiegersohn. Er hatte für die Glaubwürdigkeit dieser Rolle einen
Birnenweihnachtsgeburtstagskuchen zubereitet und mit dreißig Kerzen
ausgestattet. Kurt lag unter seinem Sessel und schlief. Sie nahmen ihn an den
Beinen und trugen ihn unter den Weihnachtsbaum. Dort schlief er weiter. Das
wirkte feierlich.
    Katrins
Eltern kamen pünktlich um drei. Hugo Boss junior war diesmal nicht dabei.
Vermutlich fehlte ihm das passende Sakko. In Ernestine Schulmeisters Nasenlöchern
steckte ein süßsaures Lächeln, als sie sich von Max die Hand überreichen ließ.
»Das ist mein neuer Freund«, dolmetschte Katrin. - Das Säuerliche wich nun
rasch aus Schulmeisters Nasenlöchern, ihre Tränensäcke vibrierten und ihre
Stimmbänder erzitterten ein huldigendes »Goldschatz!« Vermutlich dachte sie an
die bevorstehende Neujahrshochzeit und an fünf Enkelkinder, die der »neue
Freund« schon so gut wie gezeugt haben musste.
    Rudolf
Hofmeister steuerte mit einem warmen »So-und-jetzt-reden-wir-beide-einmal-über-Sportautos«-Blick
auf Max zu und klopfte eine seiner Schultern weich. »Ich muss mich für das
Benehmen meines Hundes vor einigen Tagen bei Ihnen entschuldigen«, sagte Max im
bemühten Oxford-Englisch mit deutschen Untertiteln. »Wissen Sie, normalerweise
schläft er.« Zum Beweis deutete er auf das regungslose Drahthaarbündel unter
dem Christbaum. Herr Hofmeister hielt sich sicherheitshalber die Hand vor die
Augen.
    Der Kuchen
kam gut an. »Die Birnen haben einen sehr ... erfrischenden Geschmack«, meinte
Katrins Mutter. »Ich finde, sie schmecken nach gar nichts«, meinte Katrin. »Ein
Birnenkuchen soll ja auch nicht nach Birnen, sondern nach Kuchen schmecken,
denn wer Obst essen will, der soll Obst essen, der braucht keinen Kuchen dazu«,
verriet Max seine Philosophie. Alle gaben ihm Recht. »Der Mann macht Nägel mit
Köpfen«, lobte Katrins Vater.
    Danach gab
es ein paar Geschenke. Der Vater wurde jagduhrenmäßig auf Jänner vertröstet.
Max war noch nicht ins Programm aufgenommen worden. Mutter bekam das mittelrosa
Nachthemd. »Goldschatz, ich hab doch schon zwei rosa Nachthemden«, sagte sie in
Form einer kleinen Fußnote zu ihrer prächtig inszenierten Freude. »Nachthemden
kann man gar nicht genug haben«, meinte der Vater.
    Katrin
bekam von ihren Eltern eine komplette Theaterausrüstung, bestehend aus
Theaterhandtasche (umtauschen), Theaterhandschuhen (behalten), Theaterbluse
(weiterschenken), Theaterkleid (spenden), Theaterschuhen (umtauschen) und Theater-in-der-Josefstadt-Abonnement.
Es waren die teuersten Plätze für die zehn besten Vorstellungen des kommenden
Jahres. »Soll ich dort alleine hingehen?«, fragte Katrin. »Nein, Goldschatz,
Aurelius hat die Plätze neben dir.« Es entstand eine unangenehme Sprechpause.
»Vielleicht kann ihm der Herr Max die Karten abkaufen«, schlug der Vater vor.
Max nickte.
    »Ich will
nicht unhöflich sein«, sagte Katrin. - Aber die Eltern mussten gehen, und zwar
sofort. Sie flüsterte ihnen den Grund dafür ins Ohr. Max schrieb der Mutter das
Rezept für den Birnenkuchen auf.

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