Glattauer, Daniel
Telefonnummer der Kontaktperson geben, ehe sie das
Gespräch beendete.
Es war
zwar schon später Abend, aber die mysteriöse Lotteriedame namens Paula Stein
war offensichtlich noch im Dienst. Zumindest meldete sie sich. »Bin ich hier
bei der' Lotteriegesellschaft?«, fragte Katrin. »Nein, bei Paula«, erwiderte
die Frau, entschied sich dann aber anders und sagte: »Oh doch, gewissermaßen,
Frau Willinger?« Nein, nicht Willinger, sagte Katrin. »Aber weil wir gerade bei
Frau Willinger sind, haben Sie zufällig ein Foto von Frau Willinger?«, fragte
Katrin. »Wieso fragen Sie?«, fragte die Frau. »Ein Foto vielleicht nur mit
Lippen?«, fragte Katrin.
Die Dame
auf der anderen Seite der Leitung schwieg. Zugegeben, die Frage war nicht
gerade eine solche, auf die man eine Antwort erwarten durfte. Katrin war
aufgeregt. Sie stand möglicherweise knapp vor der Sprengung eines Syndikat-,
kartell- oder sektenmäßig, aber bestimmt durch und durch mafios aufgezogenen
internationalen illegalen, schwer organisierten und mindestens genauso
verbrecherischen Schwarzmarkt- Lippenfoto-Schmuggel-und-Geldwäsche-Ringes.
Patin: Paula Stein, Pate: Max. Patenhund: Kurt. Er schlief gerade.
»Kennen
Sie Max?«, fragte Katrin in die Stille der Telefonleitung. »Wenn wir den
gleichen Max meinen, dann kenne ich ihn«, gestand die Frau und fragte: »Sind
Sie Katrin?« - »Ja«, sagte Katrin und hielt sich mit beiden Händen am
Telefonhörer fest. »Ich glaube, wir beide sollten miteinander reden«, meinte
die Frau.
23.12.
Auf diesen
Sonntag hatte Max nicht gewartet. Sie empfingen einander zu Mittag im Bett.
Der Sonntag hatte sich weder in Form von Licht noch von Geräuschen noch von
Gerüchen angekündigt. Er war so still und nichts sagend ins Schlafzimmer
geschlichen und hatte es dort auf so verdächtig unauffällige Weise vermieden,
erste Eindrücke zu hinterlassen, dass Max nicht mehr anders konnte, als
aufzuwachen. Der Sonntag reagierte darauf betont gelassen: nicht. So blieben
sie vorerst beide im Bett und taten, als würden sie einander nicht bemerken.
Max
beschloss spontan, wieder einzuschlafen. Bedingung dafür war, dass er an
nichts dachte, was ihn wach halten konnte. Nicht an Kurt, der nicht unter
seinem Sessel lag und schlief. Nicht an Weihnachten, das gar nicht notwendig
gewesen wäre, um Max das Gefühl zu geben, er würde nichts versäumen. Nicht an
den Urlaub, der den Aufwand (des Kofferpackens, Zum-Flughafen-Fahrens, des
Abhebens, Landens, Dunstens, Kofferauspackens, Mit-Sonnencreme-Einschmierens,
Schwitzens, Abkühlens, Schwitzens, Koffereinpackens, Schwitzens, Dunstens,
Abhebens, Landens, Frierens) nicht wert sein konnte. Nicht an die ... nein,
bitte nur nicht an Sissis Lippen! In welchen Wahnsinn hatte er sich da von
Heilpraktikerin Paula treiben lassen!
Nicht an
Katrin! Er durfte jetzt auf keinen Fall an sie denken. Er lag auf dem Rücken.
Sie lag neben ihm, verschwand wieder, lag wieder neben ihm. Sie funkelte ihn vorwurfgeschossartig
an und tippte mit dem rechten Nageleck des rechten kleinen Fingers auf das
Foto. Nein, nicht daran denken! Sie legte sich auf ihn, sie erregte ihn. Nein.
Er spürte jeden Punkt seines Körpers von ihrem berührt. Sie war mit ihm
verschmolzen. Nein. Sie hob ihren Kopf. Ihre Haarspitzen streiften über seine
Stirn und streuten elektrische Funken. Ihre mandelförmigen Augen waren weit
offen. (Sie hatte doch mandelförmige Augen, oder?) Daraus sprühten
Sternspritzer. Es waren Blicke, die sofort entschieden, was kommen musste.
Nein. Sie küsste ihn. Er wehrte sich nicht. Er genoss es. Er öffnete die Augen.
Sie küsste ihn mit... nein, bitte nicht ... mit Sissis Lippen.
Er war
hellwach. Es war der Sonntag vor seiner Abreise. Er musste sofort aufstehen.
Er musste Katrin alles erklären.
Kurt legte
seine Zunge auf Katrins Kinn und zog voll durch bis zu ihrem Haaransatz. Sie
schrie zwar hysterisch: »Pfui, Kurt, du Sau!«, war aber wenigstens endlich
bereit, seine Existenz wahrzunehmen und auf ihn einzugehen. Er hatte schon
einige Zeit an ihrem Bett gestanden, ihr mit seinem Drahthaarschnauzbart die
Wangen gerieben und mit seinen Pfoten die Schultern massiert. Er hatte dazu eunuchenhafte
sibirische Kojotengesänge geträllert. Alles vergeblich. Im Schlaf wunderten
sich die Menschen offenbar über gar nichts. Erst die Gesicht-Abschleckaktion
griff. Katrin wirkte erfrischt und aufgemuntert und rannte sofort unter die
Dusche.
Es war
also der dritte Morgen mit einem völlig
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