Glatze mit Sommersprossen
mich, schüttelte den Meisterdetektivkopf und fragte den Mann mit den großen Karos höflich: „Und das stimmt wohl gar nicht, was?“
Jojo kicherte albern.
Der Mann zu meiner Linken dagegen verschluckte sich: „Wofür halten... halten... halten Sie mich?“
„Für einen netten Reisenden der ersten Klasse, der in Innsbruck zugestiegen ist und nach Bozen reist.“
„W... w... woher wissen Sie, daß ich... ich nach Bozen will?“ stotterte er fassungslos. Ja, woher wußte ich das? Ganz einfach, seine Fahrkarte lag neben ihm auf dem Sitz. Wahrscheinlich hatte er sie mit seinem blaukarierten Taschentuch nach draußen befördert. Ich ergriff sie und reichte sie ihm hin.
„Danke!“ sagte er und grapschte blitzschnell danach.
„Der Herr ist böse, weil ich ihn im Augenzeugenbuch aufgenommen habe, Onkel Baldi!“ sagte Jojo und zog einen Schmollmund, während mein Nachbar die Augen aufriß.
„Onkel Baaaaldi???“
Ich lächelte ein Ministerlächeln, so eines, das man an- und absteilen kann wie elektrisches Licht. „Wenn Sie erlauben: Balduin Pfiff!“
In den Augen meines Nachbarn wetterleuchtete es. „Dann sind Sie also der berühmte Detektiv mit den Karo- und Taschentuchweisheiten. Der Mann, der sich im Garten eine Giraffe hält und im Keller einen Igel ohne Stacheln.“
„Ohne Stacheln?“ Heiliges Kanonenröhrchen, jetzt blieb mir aber wirklich für einen Augenblick die Spucke weg.
„Na, angeblich haben Sie ihm für jeden überführten Gauner einen Stachel abgeschnitten. So jedenfalls hat es mir diese Rotz... Ihr Neffe dort drüben erzählt.“
Jojo war weggetaucht und hielt ein scheinbar endloses Zwiegespräch mit seinen Schnürsenkeln.
„Wissen Sie“, versuchte ich die Situation mit einem Spaß zu retten, „Sie dürfen nicht alles glauben, was Ihnen Jojo erzählt. Aber immer, wenn er sich in ein Kind verwandelt, wird er unausstehlich, hehehehe. Wenn Sie wollen, wird er sich auf der Stelle bei Ihnen entschuldigen...“
„Ich verzichte!“ pfiff mein Nachbar links am Goldzahn vorbei. Und dann tat er etwas, das ich gar nicht erwartet hätte. Wie konnte sich ein erwachsener Mann nur sooo gehenlassen...
Jojos Beute
Nach einem letzten bösen, nadelspitzen Blick in mein freundliches Gesicht stemmte er sich hoch und hievte sein teures Schweinsleder aus dem Gepäcknetz.
„Schätze, daß mir ein anderes Abteil guttun wird!“ meinte er grollend.
Jojo war aufgesprungen, hatte den Sommermantel seines Opfers vom Haken geschwungen und streckte ihn nun aufgeklappt in die Höhe.
„Ich gehe nur ein Abteil weiter, dazu ziehe ich keinen Mantel an!“ schnauzte ihn der Herr mit dem Goldzahn an und nahm mit heftiger Handbewegung sein Eigentum aus Jojos Händen.
Es gab ein lautes, sattes Geräusch, als die Abteiltür hinter ihm zuschnappte.
Ich wandte mich Philip zu, um ihm meine ganze gesammelte Entrüstung ins Spitzbubengesicht zu schmettern, doch da blieb mir bereits die Einleitung im Halse stecken. Hatte ich bis hierher noch gehofft und gemeint, daß alles halb so schlimm sein konnte, so verließ mich jetzt noch der letzte Rest von Optimismus. Wollte ich mich nicht in einen Strudel blitz- und donnerartiger Ereignisse ziehen lassen, dann durfte ich meinen „Neffen“ auch nicht eine einzige Sekunde mehr aus den Augen lassen.
Jojo frohlockte mich mit seinen strahlenden Augen an und hielt mir triumphierend etwas entgegen. Und ich, ei der Daus und heiliges Kanonenröhrchen, brauchte wirklich kein Fernglas, um zu erkennen, daß es sich um die Fahrkarte des Abteilflüchtlings handelte.
„Soll ich sie ihm nachtragen, Onkel Baldi, oder willst du das machen?“
„Bleib ruhig, alter Detektiv!“ befahl ich mir innerlich. Ich streckte meine Hand aus, und Jojo legte die Fahrkarte drauf. „Noch so einen Streich, du Hefeklößchen, und ich werfe dich heute abend um 22 Uhr ins nasse Meer!“
Im Nachbarabteil saßen zwei strickende alte Damen, im übernächsten spielten zwei Herren Schach, doch dann entdeckte ich unseren „karierten Goldzahn“. Ganz allein hockte er in der Ecke und starrte zum Fenster hinaus.
Ich schmolz dahin vor Liebenswürdigkeit. „Bitte sehr, bevor Sie sie vermissen, es könnte unangenehm werden!“
Er war aufgesprungen und untersuchte nun in rasender Eile seine Taschen — natürlich erfolglos! Schließlich murmelte er ein heiseres Dankeschön, ohne dabei jedoch den mißtrauischen Blick gegen einen dankbaren einzutauschen. Na ja, wäre ich er und er ich gewesen, hätte ich mich
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