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Glatze mit Sommersprossen

Glatze mit Sommersprossen

Titel: Glatze mit Sommersprossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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mit aller Wucht auf seine Füße gewuchtet!
    Jojo sah weder neugierig noch sonderlich schuldbewußt drein, als ich zurückkehrte. Beim spinnebeinigen Bonifatius, statt ehrlicher Zerknirschung hatte er auch noch Wünsche: „Erzählst du mir jetzt die versprochene Geschichte von Eusebios Huhn?“
    „Heiliges Kanonenröhrchen, Jojo, hast du denn überhaupt kein bißchen ein schlechtes Gewissen? Du beleidigst einen seriösen Herrn bis aufs Zahnfleisch und tust, als gehöre so was zum Alltag.“
    Jojo blitzte mich voller Entrüstung an. „Aber das habe ich doch nur deinetwegen getan, Onkel Baldi, und aus Rache!“
    Ei der Daus, ich verstand gar nichts. „Wieso meinetwegen?“
    „Weil er gemeckert hat über dich!“
    „Gemeckert?“
    „Ja, erst über deine ausgestreckten Beine und dann über dein Schnarchen.“
    „Hm“, brummte ich und bemühte mich (so ein hinterhältiger Goldzahn, der Goldzahn, ei der Daus und heiliges Kanonenröhrchen!), streng auszusehen.
    „Habe ich denn laut geschnarcht?“
    „Wie Großonkel Feodor.“ Jojo kicherte. „Großmutter hat immer gesagt, Onkel Feodor zersäge in einer Stunde mindestens ein ganzes Birkenwäldchen.“
    „Hm...“ Was sollte ich schon anderes sagen als „Hm!“. Vorsichtig lenkte ich das Gespräch wieder in ernstere Bahnen: „Wie war das mit den frechen Reimen, über die sich unser Nachbar beschwert hat?“
    Jojo musterte mich fassungslos. „Aber da hast du doch noch fest geschlafen?“
    „Ich war wach.“
    „Du warst wach??“ Jojos Entrüstung schien echt zu sein. „Du hast also nur so getan?“
    Ich nickte und machte eine auffordernde Handbewegung. „Wir waren bei den Reimen stehengeblieben.“
    „Es war nichts Besonderes, Onkel Baldi!“ winkte Jojo ab.
    Ich frotzelte: „Mit anderen Worten: Du hast sie schon wieder vergessen?“
    „Nö!!!“ Es klang wie ein Schuß.
    „Dann raus mit der Sprache!“
    Jojo sah Richtung Fenster und leierte monoton herunter: „In diesem Abteil wohnt ein Geist, der dem in Ohr und Nase beißt, der nur bis Bozen und nicht weiter reist!“
    Ich schüttelte den Kopf und wußte einmal mehr, daß Großmutter Agathe zu Recht von der Reisebegleitung ihres Enkels zurückgetreten war. „Das war alles?“
    „Fast“, murmelte Jojo und schielte mich dabei von unten herauf an.
    „Dann erzähl mir auch noch den Rest!“
    „Es war einmal ein magrer Mann, der hockte neben einem dicken, und neidisch ließ er seine Blicke wandern übern runden Bauch des andern.“
    „Nicht gerade ein Schiller“, sagte ich. „Was hättest du denn getan, wenn dir der Herr eine Ohrfeige versetzt hätte?“
    Philip zuckte lässig mit den Schultern: „Er hätt’ mich ja nie getroffen. Und außerdem ist das ja verboten!“ fügte er noch rasch und triumphierend hinzu.
    In diesem Augenblick wurde die Tür aufgeschoben, und eine junge Dame trat ein. Sie trug eine mittelgroße Reisetasche in der Hand und brachte einen Schwall Zigarettendunst mit. „Buon giorno!“ sagte sie und lächelte.
    „Buon giorno!“ sagte ich, während Jojo (natürlich feixend!) feststellte: „Italienisch kann ich nicht.“
    „Guten Morgen!“ sagte die Dame daraufhin und schob ihre Tasche ins Gepäcknetz. „Ich war aus Versehen im Raucherabteil gelandet.” Sie sprach das Deutsch mit starkem Akzent.
    Noch bevor ich Jojo ein entschiedenes Kopfschütteln zusenden konnte, hatte er sein „Augenzeugenbuch“ auf die Knie gezogen, und ich sah ihn eine Zahl schreiben. Dann begann er, die junge Dame mit derart neugierigen und durchdringenden Blicken zu mustern, daß mir vor Verlegenheit heiß und kalt wurde. Ich räusperte mich, doch Jojo nahm keinerlei Notiz von mir. Er schrieb mit solcher Emsigkeit, als gelte es, einen Preis zu gewinnen.
    Natürlich war das auch der jungen Dame zu meiner linken Seite bereits aufgefallen. Plötzlich ließ sie die aufgeschlagene Modezeitschrift sinken und sagte mit Nachdruck: „Ich mag es nicht, wenn man mich zeichnet!“
    Als Jojo nicht reagierte, legte sie die Zeitung mit einer träge anmutenden Geste zur Seite. Was dann geschah, ging so schnell, daß meinem Schützling keine Zeit für eine Grimasse blieb, und ich nicht einmal mehr „Hoppla!“ rufen konnte...

Ankunft in Ancona

    Der Oberkörper der jungen Dame schnellte nach vorn, und ihre Hände ergriffen das Buch, das der schreckensbleiche Jojo auf den Knien balancierte. Eine Sekunde später hatte sie die gleiche Haltung wie zuvor wieder angenommen. Und sie las.

    Der eben noch erboste

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