Glatze mit Sommersprossen
schrecklicher Schrei des Entsetzens hallte von jenseits irgendeiner Ecke an meine Ohren. Passagiere steckten ihre Köpfe durch die Tür, und bald hetzte ich inmitten anderer Passagiere in Richtung Schrei. Vor Kabine 24 sah ich dann Frau Schaller. Von mehreren gestützt, wankte sie in ihre Kabine.
„Was ist passiert?“ fragte ich, von bösen Ahnungen geplagt, einen der Umstehenden.
„Irgend jemand hat der Frau einen abgetrennten blutigen Daumen an den Türgriff gehängt!“
Jojo macht eine sensationelle Entdeckung
Jojo sah mich mit ebensolchen unschuldigen Augen an wie ein sechs Wochen alter Säugling, der eben die Pampers naß gemacht hatte.
„Hast du dich satt gegessen, Onkel Baldi?“
„Mir ist der Appetit vergangen. Ich kann abgetrennte blutige Daumen nicht ausstehen!“
Zur Unschuld in seinen Augen gesellte sich eine gutgespielte Überraschung. Es war immer wieder erstaunlich, zu sehen, wie viele Talente dieser Dreikäsehoch in sich vereinte. „Was meinst du damit?“
Ich streckte Kinn und Bauch vor, legte den Ernste-Stimme-mit-Strafandrohung-Gang ein und erwiderte: „Ich meine den Ketchupdaumen an Frau Schallers Türknauf. Kommt dir doch sicher bekannt vor…“
„Miiiiiiiir???“
Ich winkte ab, schielte zur Tür und murmelte: „Ihr Bruder, der Leinenanzug Lothar, ist bereits unterwegs nach hier. Er ist nur noch mal umgekehrt, um sein Gewehr zu holen. Er hat gesagt, daß er dir ein Stück Ohr wegschießen will!“
Jojo sprang auf, als sei in seiner Hose eine Rakete gezündet worden, flog zur Tür und drehte Schlüssel und Riegel herum.
„Du hast mich verraten!“ flüsterte er mir zu.
„Es gab Augenzeugen!“ schwindelte ich.
Jojo hockte sich mit angezogenen Beinen auf sein Bett, legte den Finger über die Lippen und hauchte:
„Wir sind ganz still, da denkt er, wir sind nicht da.“ Und dann eine Spur weniger gehaucht: „Und alles, weil du nicht mal richtig hellsehen kannst!“
„Also gut“, lenkte ich ein und tat versöhnlich, „ich werde dich beschützen!“ Ich ging zur Tür und brachte Riegel und Schlüssel wieder in Ausgangsstellung.
„Und wenn er jetzt hereinkommt?“
„Halt ich ihm meinen Flammenwerfer unter die Nase und sage, daß er seinen Kaffee woanders trinken soll!“ Ich zog Kunigunde aus der Tasche und ließ sie einmal um den Finger kreisen. Jojo strahlte plötzlich wieder und rieb sich die Hände wie ein erfolgreicher Pferdehändler.
„Woher hattest du den Daumen?“ fragte ich streng.
„Aus dem Sortiment!“
Als er sah, daß ich nicht verstand, was er damit meinte, kletterte er vom Bett, holte seinen Koffer, klappte ihn auf und nahm ein Kästchen von der Größe einer Zigarrenkiste heraus.
Beim spinnebeinigen Bonifatius, ich mußte richtig schluk-ken, als ich den Inhalt, „das Sortiment“, sah. Mindestens ein Dutzend Daumen und sonstige Finger lagen darin. Und sie sahen den echten so täuschend ähnlich, daß ich Frau Schallers Reaktion verstand.
„Die gehören Papa, er braucht sie manchmal zum Zaubern!“ erklärte Jojo. Und ich seufzte. „Ihr seid in der Tat eine aufregende Familie!“
Nachdem Jojo seinen „Schatz“ wieder weggepackt hatte, schlich er sich auf Zehenspitzen zur Kabinentür und preßte ein Ohr dagegen.
Ich aber sagte laut: „Entweder hat der Lothar sein Gewehr nicht gefunden, oder aber er hat es sich wieder anders überlegt. Und damit du gleich Bescheid weißt, was sich so alles von jetzt an bis morgen um 15 Uhr tut, will ich es dir verraten: Nichts tut sich, aber auch gar nichts, du dreimal verflixter Schrumpfriese. Du wirst nicht mehr von meiner Seite weichen!“
„Warum ausgerechnet bis 15 Uhr, Onkel Baldi?“
Ei der Daus, wie naiv und harmlos tuend dieses Würstchen fragen konnte. „Weil wir um 15 Uhr in Piräus einlaufen und weil wir dann gemeinsam einen Bummel durch Piräus machen werden! Wir liegen nämlich runde drei Stunden im Hafen.“
„Oh, da freue ich mich aber. Ich war noch nie in Piräus.“ Das Mißtrauen brannte in mir wie scharfer Pfeffer. Wenn sich Philip Matolla zu freuen begann, hieß es, doppelt vorsichtig zu sein.
„Wo hast du eigentlich den Ketchup gelassen, den du aus dem Speisesaal mitgenommen hast?“ fiel mir ein.
„Oh... den Ketchup... den Ketchup, den meinst du?“ Er druckste herum und vermied jeden Blickkontakt zu mir.
„Philip, wo ist der Ketchup?“
„Ich... ich habe ihn einer Frau geschenkt.“
Ich glaubte mich verhört zu haben. „Du hast ihn einer Frau geschenkt?“
Jojo
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