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Glatze mit Sommersprossen

Glatze mit Sommersprossen

Titel: Glatze mit Sommersprossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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ich mußte wohl die Augen offenhalten. Jojo brächte es fertig, dem kleinen Zahnarzt aus Schaffhausen einen Streich zu spielen.
    Ich las noch zwei Stunden über mein Reiseziel Kreta und lernte dabei, daß die Türken im Jahre 1669 nach 22jähriger Belagerung Iraklion eroberten und sich zweihundert Jahre lang nicht von der Insel vertreiben ließen. Ja. ja, die Türken... Beim spinnebeinigen Bonifatius, wie konnte ich um Mitternacht einen so komischen Appetit bekommen. Wenn ich an Türkischen Honig dachte, liefen mir überschwappende Bäche im Munde zusammen...
    Punkt 9 Uhr rauschte Frau Hilde Schalter atemlos in unsere Kabine. Im Nu erfüllte sie den Raum bis in den letzten Kubikzentimeter mit einem süßlich-herben Parfüm. „Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mich empfangen, großer Meister!“ jubilierte sie und versuchte mir dabei den Arm aus der Schulter zu reißen.
    „Ich geh’ an die frische Luft!“ sagte Jojo, schnüffelte provozierend und verschwand, noch bevor ich ihm eine Mahnrede hätte halten können.
    Also wandte ich mich mit ernster Hellsehermiene meiner Besucherin zu und quälte mir ein hoheitsvolles Lächeln ins Gesicht.
    „Bitte, nehmen Sie Platz!“ bat ich feierlich, und sie... sie, heiliges Kanonenröhrchen, erschauerte, als sei ihr plötzlich ein blondgelockter Engel mit Flügeln auf der Brust erschienen.
    Ich setzte mich ihr gegenüber und begann mit monotoner Leierstimme: „Ich reise inkognito und bin infolgedessen kein Hellseher. Und wenn ich kein Hellseher bin, kann ich weder Geld annehmen noch hat das, was ich Ihnen sage, etwas mit Hellseherei zu tun. Haben Sie mich verstanden?“
    „Ja“, hauchte sie.
    „Wie heißen Sie, wann sind Sie geboren und wo zu Hause?“
    „Hilde Schaller, geboren am 12. Januar 19...“Sie stockte, wurde rot und fragte leise: „Muß das Jahr genau stimmen?“
    „Muß!“ sagte ich streng.
    „1930 in Mönchengladbach, und dort wohne ich auch...“
    Mit leicht erhobenem Kopf, halbgeschlossenen Augen und leiser, langsamer Sprechart spielte ich nun Hellseher:
    „Äußerst ereignisreiche Tage liegen hinter Ihnen, und äußerst gefährliche und ereignisreiche Tage liegen vor Ihnen. Ich sehe ein Haus, ich sehe ein Straße... Wasser, Gitter... einen Berg schlechtes Gewissen und — ich sehe einen Mann mit Glatze... Er hat stechende Augen, ist Linkshänder und Besitzer eines schlechten Charakters. Seine Glatze ist mit blaßrosa Sommersprossen bedeckt...“

    Ich hielt inne und bedachte den abwesenden Jojo mit einer wenig schönen Beschimpfung. Warum? Weil die duftende Schallerhilde im Sessel plötzlich zu wimmern und zu wanken begann.
    „Ist Ihnen nicht gut?“
    Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. „Die Gitter... die Gitter...“ flüsterte sie und begann zu schluchzen...

Jojos Rache

    Bei Samson, dem einbeinigen Pfützenspringer, war das nun ein kriminalistischer Volltreffer, oder rollten da einer Unschuldigen dicke Zähren durchs Puder?
    Oh, wie ich es haßte, hilflos zu sein. Ich durfte gar nicht an Jojo denken...
    „Bitte, großer Meister, sagen Sie mir die Wahrheit. Können Sie Fridoline sehen?“ wimmerte Hilde Schaller.
    Beinah wäre mir entfahren, daß ich keine Ahnung hätte, wer Fridoline sei. Ich konnte mir gerade noch rechtzeitig vors Schienbein treten. Also ließ ich die Lider wieder zur Hälfte über die Pupillen rutschen und verkündete mit Hellseherton: „Die Wahrheit ist, daß ich Fridoline nicht sehe!“
    „Oh, mein Gott“, überflutete mich neuer Jammer.....Sie liegt sicher auf dem Boden... Liegt sie auf dem Boden?“
    „Nein, sie liegt auch nicht auf dem Boden „Nicht???“ stieß sie fassungslos hervor. Ich schüttelte den Kopf. Und in der kindischen Überzeugung, trösten zu müssen — woher sollte ich wissen, daß Hellseher niemals trösten — , sagte ich: „Sie sollten sich nicht aufregen, Frau Schaller. Vielleicht ist Fridoline ausgegangen...“
    „Aus-ge-gan-gen???“
    „Ja, ins Kino oder zum Tanzen. Oder in den Park...“
    Die zweiundachtzig gutriechenden Kilo aus Mönchengladbach sahen mich an. Und es blieb mir nicht verborgen, daß sich hinter, in und über ihren Augen etwas zusammenbraute, das mit Zuneigung und Dankbarkeit nichts zu tun hatte.
    Langsam, ohne ihre scharfgeladenen Blicke von mir zu nehmen, erhob sie sich, wischte sich mit ärgerlicher Geste die Tränen von den Kugelbäckchen und ließ mich leise und voller Verachtung wissen:
    „Sie sind überhaupt kein Hellseher, Sie... Sie... Sie komischer

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