Glatze mit Sommersprossen
die leuchtendroten Haare raufte.
Ich holte eine zweite Tasse und bot ihm von dem an, was ich selbst gerade schlürfte: Huflattichtee.
„Trinken Sie und schlucken Sie Ihren Ärger mit runter.“
Er zog ein Gesicht, als hätte ich ihm gewärmtes Terpentinöl serviert.
„Danke... aus was ist das?“
„Aus Huflattich!“
„Aha...“
„Hilft gegen alles!“
„Was Sie nicht sagen.“
„Das sage nicht ich, das sagt Frau Eulchen über mir. Ich kann sie zwar nicht ausstehen, aber dafür kann ja der Huflattich nichts, was? Nun lassen sie mich mal hören, was Sie so furchtbar verzweifeln läßt.“
Ich machte eine auffordernde Handbewegung, und Herr Vandemer folgte meiner Aufforderung auf dem Fuße.
„Ich will versuchen, gleich zur Sache zu kommen, Herr Pfiff, wenn es recht ist.“
„Es ist recht! Am besten, Sie beginnen mit der Antwort auf die Frage, warum Sie sich nicht an die Polizei wenden, wenn man Sie bestohlen hat.“
Einige Augenblicke lang sah es aus, als sei mein Besucher künstlich, so starr und steif saß er da.
„Peinlich wäre das, ungeheuer peinlich. Das alles bekäme dann einen offiziellen Anstrich. Und noch peinlicher, wenn ich mich getäuscht hätte.“ Plötzlich gab er sich einen Ruck und musterte mich durchdringend.
„Herr Pfiff, ich will Ihnen reinen Wein einschenken: Ich kam von einer Pokerrunde! Und wenn ich sage peinlich, so denke ich da in erster Linie an meine Frau. Ich habe ihr nämlich kürzlich versprechen müssen, nicht mehr zu pokern. Nun ja, so auf einen Schlag läßt sich eine überaus liebgewordene Angewohnheit nicht abgewöhnen.“
„Ich nehme an, Sie gehören zu denen, die ständig verlieren, weil das Glück gegen Sie ist.“
„Ach nein, daß sie mir das Versprechen abnahm, lag nicht an Gewinn oder Verlust, das lag einzig und allein an der Zeit. Meine Pokerrunden dauerten mitunter ganze Wochenenden!“
„Heiliges Kanonenröhrchen und ei der Daus!“ staunte ich. Er nickte dazu schuldbewußt. „Also, ich hatte wie üblich meinen Wagen auf dem Parkplatz an der Augustenbrücke abgestellt und war mit dem Omnibus zu meinem Freund gefahren. Wir pokerten von zwei bis fünf, und ich gewann rund dreitausend Mark.“
„Das macht“, so hatte ich blitzschnell nachgerechnet, „einen Stundenlohn von tausend Mark.“
„Aber nur, wenn man gewinnt.“
„Stimmt. Ich nehme an, diese dreitausend Mark befanden sich in der Brieftasche, die man Ihnen gestohlen hat.“
„Ja, aber nicht das Geld ist es, was mir Kummer bereitet. Außer den Banknoten und meinen Papieren enthielt sie noch ein wichtiges Dokument, das, käme es in die falschen Hände, die Existenz eines Mannes gefährden könnte.“
„Um welches Dokument es sich handelt, möchten Sie nicht sagen?“
„Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie mich nicht darum bitten würden.“
„Einverstanden! Fahren Sie fort. Wir waren beim Ende der Pokerpartie stehengeblieben.“
„Ich nahm wieder den Omnibus und fuhr zurück. Es war ziemlich viel Gedränge. Einmal zwängte sich eine Dame an mir vorbei, und weil sie mich dabei vor das Schienbein getreten hatte, entschuldigte sie sich. Am Bismarckring stieg sie aus. Im gleichen Augenblick bemerkte ich, daß meine Brieftasche verschwunden war. Im allerletzten Moment gelang es mir, ebenfalls auszusteigen. Ich folgte der jungen Dame, obgleich mir die Vernunft einzureden versuchte, daß es auch jeder andere im Omnibus gewesen sein könnte... Sie verschwand in einem Haus in der Josef-Lanner-Straße. Die Nummer lautet 88. Mich nach ihr zu erkundigen, habe ich allerdings nicht gewagt.“
Er schwieg, zog ein seidenes Taschentuch aus der Innentasche seines eleganten Jacketts und tupfte sich die Stirn ab. (Auf der gar kein Schweiß stand!)
„Hm...“machte ich, und er sah mich erwartungsvoll an. „Können Sie mit diesen Angaben etwas anfangen?“
„Es wäre äußerst wichtig zu wissen, ob die Dame bemerkt hat, daß Sie ihr nachstiegen.“
„Das glaube ich nicht. Erstens ging ich auf der anderen Straßenseite, und zweitens hat sie sich nicht ein einziges Mal umgesehen.“
„Entweder war sie sich ihrer Sache so sicher, oder aber sie war wirklich unschuldig!“ stellte ich fest. „Können Sie mir die Dame beschreiben?“
Herr Vandemer zuckte mit den Schultern. Hilflos und ein wenig betreten. „So genau habe ich sie mir nicht angesehen. Aber zwei Dinge sind mir in Erinnerung geblieben: Sie war keine Schönheitskönigin, dafür besaß sie aber schwarzlackierte
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