Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
sich alles ändert für mich, für dich, für die Familie.«
»Deine Familie …«
»Nein, ich rede nicht von meiner Familie«, war er ihr ins Wort gefallen. »Ich rede von unserer Familie. Von deiner und meiner. Von der Familie, die wir beide gründen werden. Von da an wird alles besser werden, du wirst schon sehen.«
Am nächsten Morgen hatte sie einen erneuten Anlauf gemacht, aber diesmal versuchte sie es über einen Umweg. »Geh heute nicht zur Arbeit«, sagte sie. »Bleib bei mir. Fahr nicht zum Turm.«
Seine Antwort »Was für ein verführerischer Vorschlag« hatte ihr Hoffnung gemacht, doch dann hatte er hinzugefügt: »Aber ich muss zur Arbeit, Allie. Ich habe mir schon einen Tag freigenommen.«
»Nickie, du bist der Sohn des Chefs! Wenn du dir keinen Tag freinehmen kannst …«
»Ich bin Fließbandarbeiter in der Versandabteilung. Irgendwann werde ich vielleicht wieder der Sohn des Chefs sein. Aber noch bin ich das nicht.«
Und so waren sie wieder da, wo sie angefangen hatten. Alatea wusste, dass sie so nicht weiterkamen. Und jetzt musste sie sich dazu auch noch mit Query Productions auseinandersetzen, beziehungsweise mit der Tatsache, dass diese Gesellschaft gar nicht existierte. Das konnte nur eins bedeuten: Dass diese Fotografin nach Cumbria gekommen war, hatte nichts mit Nicholas’ Projekt zu tun, und auch nichts mit seiner Absicht, sich mit seinen Eltern auszusöhnen und ein neues Leben zu beginnen. Was wiederum bedeutete, dass es nur eine Erklärung für die Anwesenheit der Frau gab. Was wollen Sie fotografiert haben? sagte alles.
Der Abstieg vom Arnside Knott kostete Alatea mehr Zeit als der Aufstieg. Die Geröllfelder waren glitschig nach dem Regen. Sie lief Gefahr, auf den losen Gesteinsbrocken auszurutschen und den Abhang hinunterzufallen. Auch der von Herbstlaub übersäte Boden unter den Kastanien weiter unten war gefährlich, zumal es schnell dunkel wurde. Und so war Vorsicht ihr einziger Gedanke auf dem Heimweg. Und derselbe Gedanke veranlasste sie, kaum zu Hause angekommen, nach dem Telefon zu greifen.
Seit sie diese Nummer zum ersten Mal gewählt hatte, trug sie sie immer bei sich. Es widerstrebte ihr zutiefst zu tun, was sie tun musste, aber sie sah keine andere Möglichkeit. Sie nahm die Visitenkarte aus ihrer Tasche, holte mehrmals tief Luft, gab die Ziffern ein und wartete auf das Freizeichen. Als auf der anderen Seite abgenommen wurde, stellte sie die einzige Frage, die für sie jetzt noch eine Rolle spielte.
»Ich möchte nicht drängen, aber … haben Sie über mein Angebot nachgedacht?«
»Ja.«
»Und?«
»Wir sollten uns treffen, um noch einmal darüber zu reden.«
»Und das bedeutet?«
»Bleibt es bei der Summe? War das ernst gemeint?«
»Ja, ja, natürlich war das ernst gemeint.«
»Ich denke, dann werde ich Ihren Auftrag ausführen können.«
MILNTHORPE – CUMBRIA
Lynley hatte die beiden in einem Restaurant namens Fresh Taste in der Church Street in Milnthorpe aufgespürt, wo sie »ein absolut langweiliges Curry« gegessen hatten, wie Deborah sich ausdrückte. St. James fügte hinzu: »Wir hatten die Wahl zwischen dem hier, einem China-Imbiss oder Pizza. Ich war für Pizza, wurde aber überstimmt.«
Nach dem Essen hatten sie sich einen Limoncello bestellt, der ihnen in sehr großen Gläsern serviert wurde, was mindestens ebenso verwunderlich war wie die Tatsache, dass ein indisches Lokal diesen italienischen Likör überhaupt ausschenkte. »Nach neun Uhr abends findet es Simon ganz lustig, wenn ich ein bisschen beschwipst bin«, war Deborahs Kommentar zur Größe der Gläser. »Dann werde ich nämlich zu Wachs in seinen geschickten Händen. Allerdings bezweifle ich, dass er sich schon überlegt hat, wie er mich ins Hotel schaffen soll, wenn ich mein Glas austrinke.«
»Ganz einfach: in einem Einkaufskorb«, sagte St. James. Er zeigte auf einen Tisch, an dem niemand saß, und Lynley holte sich dort einen Stuhl.
»Und?«, fragte St. James.
Lynley wusste, dass sein Freund nicht wissen wollte, ob er ihm etwas zu trinken oder zu essen bestellen sollte. »Ich fange an, Motive zu entdecken. Und zwar unter fast jedem Stein, den ich umdrehe.« Er zählte sie an den Fingern ab: eine Versicherungspolice mit Niamh Cresswell als Begünstigter, ein Testament, das Kaveh Mehran zum Erben von Haus und Grundstück bestimmte, die mögliche Einstellung der Unterhaltszahlungen an Mignon Fairclough, die Aussicht auf den höchsten Posten in der Firma Fairclough Industries für
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