Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
mich mit ihr anfreunden. Das wäre doch ziemlich einfach, wenn sie dasselbe Problem hat wie ich. Nur eine Frau kann sich vorstellen, wie das ist, glaub mir.«
Diesmal vermied es Lynley, seinen Freund anzusehen. Er wusste, wie Deborah reagieren würde, wenn es den Anschein hatte, als würde er ihren Mann um Erlaubnis fragen, wie ein Gentleman aus einem viktorianischen Roman. »Du hast recht«, sagte er. »Sprich noch einmal mit ihr. Mal sehen, was du sonst noch über sie in Erfahrung bringen kannst.« Er fügte nicht hinzu, sie solle auf sich aufpassen. Das würde St. James übernehmen.
6. November
BRYANBARROW – CUMBRIA
Zu Zed Benjamins freudiger Überraschung entpuppte sich Yaffa Shaw als echtes Juwel. Es war nicht nur unterhaltsam, mit ihr zu telefonieren, sie leistete ihm auch unschätzbar wertvolle Unterstützung bei seinen Bemühungen. Er wusste nicht, wie, aber sie hatte es tatsächlich geschafft, einen Blick in Ian Cresswells Testament zu werfen. Sie hatte am Tag zuvor ihre Vorlesungen geschwänzt und war stattdessen nach York gefahren, zum Nachlassgericht gegangen und hatte dort einen Angestellten derart bezirzt, dass er ihr einen kurzen Blick auf das Testament gestattet hatte, und mehr hatte sie nicht gebraucht. Die Kleine hatte offenbar ein fotografisches Gedächtnis. Sie hatte ihm am Telefon alle Hinterlassenschaften aufgezählt und ihm damit eine Fahrt nach York und stundenlanges Warten erspart. Sie war einfach großartig.
Er sagte: »Ich bete dich an.«
Sie antwortete: »Huch, ich werd ja ganz rot«, und zu seiner Mutter, die natürlich mal wieder neben ihr stand, sagte sie: »Ihr Sohn bringt mich tatsächlich zum Erröten, Mrs. B.« Dann machte sie ein paar Küsschengeräusche ins Telefon.
Vor lauter Begeisterung über ihre Entdeckung vergaß sich Zed und tat es ihr nach. Dann riss er sich zusammen. Und erinnerte sich an Micah, der in Tel Aviv auf Yaffa wartete. War das Leben nicht voller Ironie?, dachte er.
Nach einem angemessenen Austausch von Liebesbeteuerungen beendeten sie das Gespräch, und Zed dachte über die neuen Informationen nach. Entgegen Rodney Aronsons Anweisungen, nach dem Detective von Scotland Yard Ausschau zu halten, entschloss er sich zu einem Angriff auf die Flanke der gegnerischen Armee. Aber er würde sich nicht mit George Cowley darüber unterhalten, was der über das Haus wusste, sondern er würde sich dessen Sohn vorknöpfen.
Und so fuhr er schon am frühen Morgen nach Bryanbarrow Village. Da der Pub, von dessen Fenstern aus man die Bryan Beck Farm so gut im Blick hatte, noch nicht geöffnet war, parkte Zed am Rand des Dorfrasens und wartete im Auto.
Natürlich regnete es. Bei dem Wetter hier oben war es ein Wunder, dass der Lake District kein Sumpfgebiet war. Endlich tauchte der Junge auf. Zed vermutete, dass er in Windermere zur Schule ging, und das bedeutete entweder, dass sein Vater ihn hinbrachte, oder dass er mit dem Schulbus fuhr. Das spielte aber keine Rolle, denn Zed hatte in jedem Fall die Absicht, mit ihm zu reden. Er würde ihn entweder auf dem Weg ins Schulgebäude abfangen oder auf dem Weg zur Schulbushaltestelle, die sich garantiert nicht in diesem gottverlassenen Nest hier befand.
Daniel stapfte über den Rasen und bog auf die Straße, die aus dem Dorf hinausführte, den Kopf gesenkt und die Schuhe und Hosenbeine bereits voll Matsch. Also der Schulbus. Zed gab ihm zehn Minuten Vorsprung, denn er nahm an, dass der Junge zur Landstraße unterwegs war, die durch das Lyth Valley führte. Ein ziemlich weiter Fußmarsch.
Als er neben Daniel hielt, war der schon bis auf die Haut durchnässt, denn wie die meisten Jungs in seinem Alter würde er eher tot umfallen, als sich irgendwo mit einem Schirm blicken zu lassen. Das wäre sozialer Selbstmord. Als jemand, der während der eigenen Schulzeit täglich einen Spießrutenlauf absolviert hatte, konnte Zed den Jungen voll und ganz verstehen.
Er kurbelte sein Fenster herunter. »Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«
Daniel schaute ihn an. Zog die Brauen zusammen. Sah sich nach rechts und links um, während der Regen auf ihn niederprasselte. Schließlich sagte er: »Ich erinnere mich an Sie. Sind Sie ein Perverser oder was? Denn wenn Sie mich anrühren …«
»Entspann dich«, sagte Zed. »Heute ist dein Glückstag, heute steh ich auf Mädchen. Morgen wär’s vielleicht schon wieder gefährlich. Komm, steig ein.«
Daniel verdrehte die Augen über Zeds blöden Witz, öffnete jedoch die Tür und ließ sich
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