Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
hier geboren und aufgewachsen, Mr. St. James. Ich gehe überall hin, wo es mir gefällt.«
»Und an dem Tag?«
Valerie Fairclough schaute Lynley an. »Würden Sie mir das erklären?«, was eine höfliche Art und Weise war zu fragen, was es zu bedeuten hatte, dass sein Freund sie einem Verhör unterzog.
»Es ist eher mein Interesse als das von Mr. Lynley«, sagte St. James. »Ich habe mit Constable Schlicht über den Tag gesprochen, an dem Ian Cresswells Leiche gefunden wurde. Er hat mir zwei merkwürdige Dinge über den Anruf bei der Polizei erzählt, und seitdem versuche ich, mir einen Reim darauf zu machen. Das heißt, eigentlich bezog sich nur eine seiner Bemerkungen auf den Anruf. Die andere bezog sich auf Sie.«
Jetzt konnte Valerie Fairclough ihren Argwohn nicht länger verbergen. Sie blieb stehen und fuhr sich mit den Händen über ihre Hosenbeine, eine Geste, mit der sie sich zu beruhigen versuchte, so schien es St. James. Lynley, der es ebenfalls bemerkt hatte, warf ihm einen Blick zu, der besagte, er solle nicht lockerlassen.
»Und was hat der Constable Ihnen gesagt?«, wollte Valerie wissen.
»Er hat mit dem Mann in der Telefonzentrale gesprochen, der Ihren Anruf entgegengenommen hat. Und der meinte, die Person, die angerufen hat, sei in Anbetracht der Umstände erstaunlich gelassen gewesen.«
»Verstehe.« Valerie war nach wie vor freundlich, aber ihr abruptes Stehenbleiben ließ darauf schließen, dass es Dinge im Zusammenhang mit Cresswells Tod gab, von denen sie nicht wollte, dass St. James und Lynley sie erfuhren. Und eins davon, dachte St. James, hatte mit dem Turm zu tun, den die Faircloughs für ihre Tochter hatten errichten lassen.
»›In meinem Bootshaus schwimmt ein Toter‹, so haben Sie sich offenbar ausgedrückt«, sagte St. James.
Sie wandte sich ab. Ein leichtes Zucken in ihrem Gesicht erinnerte Lynley an das Kräuseln der Wasseroberfläche hinter ihnen. Irgendetwas hatte sie einen Moment lang aus der Fassung gebracht. Sie hob eine Hand und schob sich eine Strähne aus der Stirn. Die Baseballmütze hatte sie nicht wieder aufgesetzt. Das Sonnenlicht fiel auf ihr Gesicht und hob ihre feinen Fältchen hervor, Altersspuren, die sie offenbar in Schach zu halten versuchte.
»Niemand kann sagen, wie er in einer solchen Situation reagieren wird«, sagte sie.
»Da gebe ich Ihnen recht. Aber das zweite merkwürdige Detail jenes Tages ist die Kleidung, die Sie trugen, als Sie die Polizei und den Krankenwagen in der Einfahrt erwarteten. Sie waren nicht für einen Spaziergang gekleidet, erst recht nicht für einen Spaziergang im Herbst.«
Lynley, der verstand, worauf St. James hinauswollte, sagte: »Sie sehen also, dass sich mehrere Möglichkeiten anbieten.« Er ließ ihr einen Augenblick Zeit zum Nachdenken, ehe er fortfuhr: »Sie waren gar nicht im Bootshaus, nicht wahr? Sie haben weder die Leiche gefunden noch den Anruf bei der Polizei getätigt.«
»Ich habe doch meinen Namen genannt, als ich angerufen habe«, erwiderte Valerie steif. Aber sie war nicht dumm. Sie musste wissen, dass zumindest dieser Teil des Spiels aus war.
»Jeder kann am Telefon irgendeinen Namen nennen«, bemerkte St. James.
»Vielleicht sollten Sie endlich die Wahrheit sagen«, fügte Lynley hinzu. »Es geht um Ihre Tochter, nicht wahr? Ich nehme an, Mignon hat den Toten gefunden und dann bei der Polizei angerufen. Von ihrem Turm aus kann sie das Bootshaus sehen. Wenn sie auf dem Dach des Turms steht, kann sie wahrscheinlich sowohl die Tür des Bootshauses als auch die Boote sehen, die ein und aus fahren. Die eigentliche Frage, die wir beantworten müssen, lautet also, ob auch sie einen Grund gehabt hätte, Ian Cresswell in den Tod zu schicken. Denn sie hat doch sicherlich gewusst, dass er an dem Abend auf den See hinausgerudert ist, nicht wahr?«
Valerie hob die Augen zum Himmel. St. James fühlte sich unwillkürlich an eine Pietà-Darstellung erinnert und musste daran denken, was die Mutterschaft für eine Frau bedeutete. Es hörte nicht auf, wenn die Kinder erwachsen wurden. Es ging weiter, bis entweder die Mutter oder die Kinder starben. Valerie sagte: »Keins von meinen Kindern …« Sie brach ab und schaute erst St. James und dann Lynley an. »Meine Kinder sind in jeder Hinsicht unschuldig.«
St. James sagte: »Wir haben ein Filetiermesser im Wasser gefunden.« Er zeigte ihr das Messer, mit dem er die Steine gelockert hatte. »Natürlich nicht dieses, aber ein ganz ähnliches.«
»Das wird das Messer
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