Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
sich nicht vom Schein trügen lassen. Investigativer Journalismus erfordert mehr, als am Schreibtisch zu sitzen und darauf zu warten, dass irgendjemandes Erzfeind anruft und einem eine Story serviert, mit der man eine Regierung zu Fall bringt. Da muss man schon ein bisschen gewieft sein, einen guten Jagdinstinkt besitzen.«
Deborah konnte nicht widerstehen. »Investigativer Journalismus«, wiederholte sie nachdenklich. »Ist es das, was Sie bei der Source machen? Dieses Blatt bringt aber nur selten investigative Artikel über die Regierung, oder? Wenn überhaupt.«
»Na ja, das war halt ein Beispiel«, erwiderte er.
»Ach so.«
»Hören Sie, das ist ein Job wie jeder andere«, erwiderte er auf ihren ironischen Unterton. »Eigentlich bin ich Dichter, und die Poesie ist nach wie vor eine brotlose Kunst.«
»Allerdings«, sagte Deborah.
»Hören Sie, ich weiß, die Source ist ein Käseblatt, aber mit irgendwas muss ich schließlich meine Brötchen verdienen, Sergeant Cotter. Ich nehme an, Ihr Job ist auch nicht viel besser, oder? Unter Pflastersteinen nicht den Strand, sondern den Abschaum der Gesellschaft suchen zu müssen.«
Ein ziemlich schiefes Bild. Ein bisschen merkwürdig für einen Dichter, dachte Deborah. »Tja, so kann man das auch sehen«, sagte sie.
»Alles hat seine guten und seine schlechten Seiten.«
Alatea nahm die Abfahrt nach Lancaster. In der Stadt würden sie aufpassen müssen, dass sie sie nicht entdeckte. Sie ließen sich zurückfallen, bis fünf Autos zwischen ihnen waren.
Es war nicht zu übersehen, dass Alatea sich auskannte und wusste, wo sie hinwollte. Im Zentrum von Lancaster bog sie auf den Parkplatz eines niedrigen Backsteinbaus. Deborah und Zed Benjamin fuhren weiter. Zed hielt an der nächsten Straßenecke, und Deborah drehte sich um. Im selben Augenblick kam Alatea auch schon um die Ecke und ging in das Gebäude hinein.
»Wir müssen herausfinden, was da drin ist«, sagte Deborah. In Anbetracht seiner Größe würde Zed das allerdings nicht schaffen, ohne aufzufallen. Deborah stieg aus. »Warten Sie hier«, sagte sie und rannte auf die andere Straßenseite, wo die parkenden Autos ihr ein wenig Sichtschutz boten.
Sie näherte sich dem Gebäude, bis sie die Schrift über dem Eingang lesen konnte. Kent-Howath Foundation for Disabled Veterans stand da. Ein Heim für Soldaten, die im Krieg verwundet worden waren.
Alatea war Argentinierin. Der Falklandkrieg, dachte Deborah. War es möglich, dass ein argentinischer Soldat irgendwie in diesem Heim gelandet war? Jemand, den Alatea besuchte?
Sie überlegte gerade, welche anderen Kriege in Frage kamen – die Golfkriege am ehesten –, als Alatea aus dem Gebäude trat. Sie war nicht allein, in ihrer Begleitung war aber auch kein kriegsversehrter Veteran, sondern eine Frau, so groß wie Alatea, wenngleich viel kräftiger gebaut. Die Frau hatte einen langen, buntgemusterten Rock, einen weiten Pullover und Stiefel an. Ihr langes, graumeliertes Haar, das sie offen trug, war einmal so dunkel gewesen wie Alateas. Ein Haarreif hielt es ihr aus dem Gesicht.
In ein offensichtlich ernstes Gespräch vertieft, gingen die beiden Frauen zum Parkplatz hinter dem Gebäude. Deborah eilte zurück zu Zeds Auto und stieg ein. »Sie wird gleich weiterfahren. Eine Frau ist bei ihr.«
Zed ließ den Motor an. »Was ist das für ein Gebäude?«, fragte er.
»Ein Heim für Kriegsinvaliden.«
»Was wollte sie denn da?«
»Keine Ahnung. Wie gesagt, sie ist mit einer Frau zusammen wieder rausgekommen. Es könnte natürlich eine Soldatin sein, aber soweit ich das sehen konnte, ist sie keine Invalidin. Da kommen sie. Schnell.« Deborah warf sich Zed an den Hals in der Hoffnung, dass es so aussah, als wären sie ein Pärchen in leidenschaftlicher Umarmung. Als sie über Zeds Schulter hinweg sah, wie Alateas Auto auf die Straße einbog, ließ sie ihn wieder los. Er war puterrot angelaufen. »Tut mir leid«, sagte sie. »Mir ist nichts Besseres eingefallen.«
»Kein Problem … äh …«, stammelte er. Dann fuhr er los und heftete sich wieder an Alateas Fersen.
Es herrschte dichter Verkehr, aber es gelang Zed, Alateas Auto im Auge zu behalten. Sie fuhr aus dem Stadtzentrum hinaus, bis eine Anhöhe mit einer Reihe großer, moderner Gebäude in Sicht kam.
»Sie fährt zur Uni«, sagte Zed. »Das bringt uns bestimmt nicht weiter.«
Da war Deborah ganz anderer Meinung. Wenn Alatea mit einer Freundin oder Bekannten zur Universität von Lancaster fuhr, dann hatte
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