Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
es noch nie gesehen hatte. Als er sie sah, hielt er kurz inne, dann eilte er in Richtung Steeles Road davon.
Im nächsten Augenblick kam Angelina Upman aus dem Haus, als wollte sie Azhar nachlaufen. Sie blieb stehen und drückte sich eine Faust vor den Mund, als sie Barbara bemerkte. Ihre Blicke begegneten sich. Dann drehte Angelina sich um und verschwand wieder im Haus.
Barbara saß in der Patsche. Angelina hatte mit ihr Freundschaft geschlossen. Barbara konnte sich schlecht verdrücken, ohne zu fragen, ob ihre Nachbarin Hilfe brauchte. Obwohl es von den Optionen, die sie blitzschnell durchging, diejenige war, die ihr am wenigsten zusagte, fasste sie sich ein Herz und klopfte an die Terrassentür.
Als Angelina öffnete, sagte Barbara: »Verzeihung. Ich war eigentlich gekommen, um Azhar etwas zu fragen …« Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, das sich immer noch fremd anfühlte, weil es jetzt ordentlich frisiert war. Sie sagte: »Ach, verflixt, tut mir furchtbar leid, dass ich den Streit mitbekommen hab. Aber ich hab fast nichts gehört. Ich bin eigentlich gekommen, weil ich Azhar um einen Gefallen bitten wollte.«
Angelina ließ die Schultern hängen. »Tut mir leid, Barbara. Wir hätten nicht so laut werden dürfen. Ich habe ein Thema angesprochen, an das ich normalerweise nicht rühren darf. Es gibt Dinge, über die man mit Hari einfach nicht reden kann.«
»Reizthemen?«
»Ja, ja, Sie wissen schon.« Sie seufzte. »Aber er wird sich schon wieder beruhigen. Das tut er immer.«
»Kann ich irgendwas für Sie tun?«
»Wenn Ihnen die Unordnung nichts ausmacht, können Sie eine Tasse Tee mit mir trinken.« Sie grinste. »Oder besser ein Glas Gin, das könnte ich jetzt gut gebrauchen.«
»Ich nehme lieber Tee«, sagte Barbara. »Heben Sie mir einen Schluck Gin fürs nächste Mal auf.«
Als sie die Wohnung betrat, sah Barbara, was Angelina mit Unordnung gemeint hatte. Anscheinend hatten Angelina und Azhar sich bei ihrem Streit mit Gegenständen beworfen. Das schien Barbara so untypisch für Azhar, dass sie Angelina entgeistert anschaute und sich fragte, ob sie allein die Sachen zerdeppert hatte. Auf dem Boden lagen zerfledderte Zeitschriften, eine zerbrochene Porzellanfigur, eine Stehlampe und in einer großen Pfütze die Scherben einer Vase zwischen zerknickten Blumen.
»Ich kann Ihnen auch beim Aufräumen helfen«, sagte Barbara.
»Zuerst der Tee«, erwiderte Angelina.
In der Küche war alles beim Alten. Angelina goss den Tee auf und stellte die Kanne auf einen kleinen Tisch unter einem hohen Fenster, durch das das Sonnenlicht hereinfiel. »Gott sei Dank ist Hadiyyah in der Schule«, sagte sie. »Sie hätte es bestimmt mit der Angst zu tun bekommen. Ich glaube nicht, dass sie Hari schon einmal so erlebt hat.«
Woraus Barbara offenbar schließen sollte, dass Angelina »Hari« sehr wohl »schon einmal so erlebt« hatte. »Wie gesagt, ich wollte ihn um einen Gefallen bitten«, bemerkte sie.
»Hari? Worum geht es denn?«
Barbara erklärte es ihr. Angelina nippte graziös an ihrem Tee. Sie hatte schöne Hände und ebenmäßige Fingernägel. »Er kennt bestimmt jemanden«, sagte sie. »Und er wird Ihnen helfen, da bin ich mir ganz sicher. Er mag Sie sehr, Barbara. Und das hier …«, sie blickte sich im Zimmer um, »… ist nur das Ergebnis von einem Zusammenprall zweier ähnlicher Charaktere. Wir vertragen uns auch wieder. Das tun wir eigentlich immer.«
»Gut zu wissen.«
Angelina trank noch einen Schluck Tee. »Wirklich dumm, wie man sich um nichts und wieder nichts streiten kann, nicht wahr? Einer macht eine Bemerkung, ein Wort ergibt das andere, und ehe man sich’s versieht, fliegen die Fetzen. Wirklich lächerlich.«
Barbara wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte noch nie in einer Beziehung gelebt, und wahrscheinlich würde sich daran auch in Zukunft nichts ändern. Und sich mit einem Lebensgefährten streiten? Mit Sachen nach ihm werfen? Die Aussicht, dass sie so etwas erleben würde, war ziemlich gering. Trotzdem murmelte sie: »Ja, das ist die Hölle«, und hoffte, dass das Thema damit erledigt war.
»Sie wissen sicher von Haris Frau«, sagte Angelina. »Dass er sich von ihr getrennt hat, dass es aber nie zu einer Scheidung gekommen ist? Das hat er Ihnen doch bestimmt erzählt, oder?«
Barbara gefiel nicht, welche Richtung das Gespräch nahm. »Hm. Na ja. Äh … mehr oder weniger.«
»Er hat sich meinetwegen von ihr getrennt. Ich war damals noch Studentin. Nicht seine,
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