Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
nicht mit Sarah verabredet gewesen, sondern hatte nur lange mit ihr telefoniert. Zähneknirschend hatte Manette durch die Tür gehört, wie er mit ihr geplaudert und gescherzt hatte, und als ihr davon schließlich der Kiefer wehtat und das Gespräch immer noch nicht beendet war, hatte sie sich auf dem Laufband ausgetobt, bis ihr T-Shirt nassgeschwitzt war. Endlich kam Freddie ins Wohnzimmer, die Wangen und sein linkes Ohr gerötet, woraus sie hätte schließen können, dass er Telefonsex gehabt hatte, hätte sie nicht gewusst, dass das nicht zu ihm passte.
Sie hatte sich noch fünf Minuten länger abgekämpft, um es wie ein ganz normales Training aussehen zu lassen, woraufhin Freddie den Daumen hochgereckt hatte, um seiner Bewunderung für ihre Kondition Ausdruck zu verleihen, und in die Küche gegangen war. Dort hatte sie ihn über einem Kreuzworträtsel brütend vorgefunden.
»Gehst du heute Abend nicht aus?«, fragte sie ihn.
»Wir legen ein Päuschen ein«, sagte er.
»Ach, macht der alte Schlawiner etwa schlapp?«
Freddie errötete. »Nein, nein, der ist topfit.«
»Freddie McGhie, also wirklich!«
Freddie sah sie mit großen Augen an, dann fiel bei ihm der Groschen. »Gott o Gott, so hab ich das nicht gemeint.« Er lachte. »Wir haben uns entschlossen …«
»Du und die Lady, oder du und der alte Schlawiner?«
» Sarah und ich haben uns entschlossen, es ein bisschen langsamer angehen zu lassen. Eine Beziehung sollte schließlich mehr beinhalten, als sich gegenseitig die Kleider vom Leib zu reißen.«
»Freut mich, das zu hören«, sagte Manette, ohne nachzudenken.
»Das freut dich? Wieso?«
»Ach, weil … äh …«, stotterte sie. »Na ja, ich möchte nicht, dass du einen Fehler machst. Dass du etwas tust, was du hinterher bereust.«
Er schaute sie an. Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Sie musste unbedingt das Thema wechseln, und ihr Gespräch mit ihrem Vater am Vortag war jetzt genau das richtige.
Freddie hörte sehr aufmerksam zu, wie es seine Art war. Als sie geendet hatte, sagte er: »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir beide mal mit ihm reden, Manette.«
Manette war ihm so dankbar, dass sie sich über sich selbst wunderte. Sie wusste, dass sie, wenn sie Informationen von ihrem Vater haben wollten, nur eine Option hatten: Sie mussten ihre Mutter ins Spiel bringen und sie über die abfließenden Gelder informieren.
Am späten Vormittag fuhren Manette und Freddie nach Ireleth Hall. Kurz nachdem sie aufgebrochen waren, begann es zu regnen. Es war Spätherbst, und es schüttete wie aus Eimern. In einem Monat würde es in Cumbria den ersten Schnee geben. In Great Urswick würden sie auch ein bisschen Schnee abbekommen, aber weiter oben im Norden würden die steilen, engen Pässe bis zum Frühjahr unbefahrbar sein.
Als Freddie vor der großen Eingangstür von Ireleth Hall hielt, sagte Manette: »Ich danke dir, Freddie.«
»Hä?«, fragte er verblüfft.
»Dafür, dass du mitgekommen bist.«
»Ach was. Das stehen wir doch gemeinsam durch.« Und ehe sie etwas darauf erwidern konnte, war er schon ausgestiegen und kam auf die andere Seite, um ihr die Tür aufzuhalten. »Lass uns den Stier bei den Hörnern packen, bevor uns der Mut verlässt. Falls es unangenehm wird, können wir immer noch deine Schwester anrufen und um eine nette kleine Vorstellung bitten.«
Manette lachte. Freddie kannte ihre Familie. Na ja, das war auch nicht anders zu erwarten, schließlich gehörte er schon sein halbes Leben lang dazu. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, fragte sie: »Warum in aller Welt haben wir beide uns eigentlich scheiden lassen, Freddie?«
»Weil einer von uns es einfach nicht gelernt hat, die Zahnpastatube nach dem Gebrauch ordentlich wieder zuzuschrauben, wenn ich mich recht erinnere«, erwiderte er leichthin.
Ohne anzuklopfen betraten sie die große Eingangshalle, in der sie eine herbstliche Kühle empfing, da in dem riesigen Kamin kein Feuer brannte. Das Hallo, das Manette rief, hallte von den Wänden wider.
Sie hörten Schritte im Flur im ersten Stock, und gleich darauf kam Valerie die Treppe herunter. »Was für eine nette Überraschung!«, sagte sie lächelnd. »Und sogar zusammen!« Letzteres sprach sie so erwartungsvoll aus, als rechnete sie damit, dass die beiden gekommen waren, um ihre große Versöhnung zu verkünden. Da konnte Valerie lange warten, dachte Manette. Aber ihre Mutter wusste ja nichts von Freddies erfolgreichem Eintritt in die Welt des
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