Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
natürlich, die Naturwissenschaften liegen mir nicht. Wir haben uns beim Mittagessen kennengelernt. Die Cafeteria war brechend voll, und er hat gefragt, ob er sich zu mir an den Tisch setzen könne. Mir gefiel seine ernste, nachdenkliche Art. Und das Selbstbewusstsein, das er ausstrahlte, und dass er nicht unter dem Druck stand, andauernd vor Geist sprühende Bemerkungen zu machen. Er war bodenständig. Das hat mich angezogen.«
»Das kann ich verstehen.« Denn es war genau das, was Barbara an ihm mochte. So hatte sie Taymullah Azhar von Anfang an erlebt.
»Ich wollte nicht, dass er sich von seiner Frau trennt. Ich habe ihn geliebt – ich liebe ihn wirklich –, aber die Ehe eines Mannes zu zerstören … So eine Frau bin ich nicht. Aber dann kam Hadiyyah. Als Hari erfuhr, dass ich schwanger war, bestand er darauf, mit mir zusammenzuziehen. Natürlich hätte ich abtreiben können. Aber sie war unser Kind, wissen Sie, und ich hätte es nicht ertragen …« Sie beugte sich vor und berührte kurz Barbaras Hand. »Können Sie sich eine Welt ohne Hadiyyah vorstellen?«
Es war eine einfache Frage, auf die es eine einfache Antwort gab. »Nein«, sagte Barbara.
»Jedenfalls möchte ich schon lange, dass sie ihre Halbgeschwister kennenlernt. Aber Hari will nichts davon wissen.«
»Und darüber haben Sie sich gestritten?«
»Ja, und zwar nicht zum ersten Mal. Es ist das einzige Thema, über das wir regelmäßig aneinandergeraten. Seine Antwort lautet immer gleich: ›Das kommt nicht in Frage.‹ Als hätte er über das Leben aller anderen zu bestimmen. Wenn er so etwas sagt, bringt mich das auf die Palme. Auch wenn er sagt, dass Hadiyyah kein Geschwisterchen mehr haben soll. Er sagt immer: ›Ich habe drei Kinder, und ich werde kein viertes in die Welt setzen.‹«
»Vielleicht überlegt er sich’s ja noch anders.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und wenn Sie es heimlich machen?«
»Sie meinen, mit Hadiyyah ihre Halbgeschwister besuchen?« Angelina schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wo sie wohnen. Ich weiß nicht mal, wie sie heißen und wer ihre Mutter ist. Womöglich ist sie mit ihren Kindern längst nach Pakistan zurückgegangen.«
»Manche Frauen werden ja auch ganz zufällig schwanger. Aber das wäre ein bisschen gemein, oder?«
»Das würde er mir nie verzeihen. Und er hat mir bereits eine Menge verziehen.«
Barbara dachte schon, Angelina würde ihr jetzt auch noch die Gründe dafür enthüllen, warum sie für ein paar Monate nach Kanada verschwunden war. Aber stattdessen sagte sie: »Ich liebe Hari von ganzem Herzen, wissen Sie. Aber manchmal hasse ich ihn auch total.« Sie musste über die Widersprüchlichkeit ihrer Bemerkung lächeln. Dann zuckte sie die Achseln. »Warten Sie eine Stunde, dann können Sie ihn auf seinem Handy anrufen. Egal, um was es geht, Hari wird Ihnen helfen.«
»Ich brauche jemanden, der fließend Spanisch spricht.«
»Das ist bestimmt kein Problem.«
LAKE WINDERMERE – CUMBRIA
Manette hatte den Verdacht, dass ihr Vater ihr nicht die Wahrheit über Vivienne Tully gesagt hatte. Aber sie hatte nicht den Mut besessen, weiter nachzuhaken. Natürlich war es albern, doch sie hatte sich vor ihrem Vater keine Blöße geben wollen. Es war nicht zum Aushalten: Irgendwie war sie immer noch das kleine Mädchen, das glaubte, wenn sie sich nur genug Mühe gab, könnte sie sich in den Sohn verwandeln, den Bernard Fairclough sich so sehnlich gewünscht hatte. Ein großer Junge weint nicht, und deswegen ließ sie sich jetzt auch zu keinem Gefühlsausbruch provozieren.
Aber das Thema war noch nicht vom Tisch. Wenn Ian über Jahre hinweg Geld an Vivienne Tully überwiesen hatte, dann blieb Manette nichts anderes übrig, als der Sache auf den Grund zu gehen. Schon allein aus Rücksicht auf ihre Mutter. Schließlich gehörte Valerie die Firma Fairclough Industries. Sie hatte sie geerbt. Bernard mochte das Unternehmen über Jahrzehnte hinweg erfolgreich geleitet haben, doch es war ein Familienbetrieb mit einem kleinen, aber mächtigen Vorstand. Und Vorstandsvorsitzende war Valerie, und nicht Bernard. Denn Valeries Vater war nicht dumm gewesen. Dass aus Bernie Dexter Bernard Fairclough geworden war, bedeutete noch lange nicht, dass er Fairclough-Blut in den Adern hatte. Und Valeries Vater hätte nie im Leben zugelassen, dass die Firma in die Hände eines Mannes fiel, der nicht als Fairclough geboren war.
Manette hatte das alles mit Freddie beredet. Zum Glück war er am Abend
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