Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
Junge, beide in Schuluniform. Ihnen folgte eine Frau, die ziemlich gestresst wirkte und auf ihre Armbanduhr schaute. »Tut mir leid, Darling. Sind wir zu spät?« Sie trat zu dem Priester, küsste ihn auf die Wange und hakte sich bei ihm unter.
»Anderthalb Stunden, Mags«, sagte der Priester und seufzte. »Also wirklich. Du kommst viel zu spät. Wir werden einen neuen Termin vereinbaren müssen. William hat gleich noch einen anderen Termin, und ich muss ebenfalls weg.«
Die Frau entschuldigte sich wortreich, während die Kinder an den Händen ihres Vaters hingen. Es wurde ein neuer Termin für das weihnachtliche Familienfoto vereinbart.
Währenddessen drückte Tim sich in einer Ecke des Ladens herum und tat so, als interessierte er sich für die Digitalkameras in den Schaukästen. Nachdem der Priester und seine Familie sich verabschiedet hatten, ging Tim zum Tresen. William Concord stand auf dem Namensschild von Toy4You. Tim fragte sich, was es zu bedeuten hatte, dass der Typ das Namensschild diesmal nicht verschwinden ließ. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er es vergessen hatte, so einer war der nicht.
Toy4You kam hinter dem Tresen hervor, verriegelte die Eingangstür und drehte das Schild um, so dass jetzt von außen Geschlossen zu lesen war. Dann schaltete er die Deckenlampen aus und bedeutete Tim mit einer Kopfbewegung, ihm ins Hinterzimmer zu folgen.
Tim sah sofort, warum Toy4You unmöglich ein Familienfoto von dem Priester und seiner Frau und seinen Kindern hätte machen können. Ein Mann und eine Frau waren gerade dabei, das Fotostudio komplett umzubauen. Anstelle der Säulen mit dem Himmel als Hintergrund entstand der Nachbau eines viktorianischen Kinderzimmers. Drei schmale Betten wurden in dem Moment hereingetragen, und in einem davon lag eine lebensgroße Schaufensterpuppe, die einen Schlafanzug mit Shrek-Motiven und seltsamerweise eine Schulmütze trug. Ans Fußende eines der beiden anderen Betten legte die Frau einen riesigen Plüschhund, der aussah wie ein Bernhardiner. Schließlich rollte der Mann eine Kulisse mit einem aufgemalten offenen Fenster herein, durch das ein sternengesprenkelter Nachthimmel zu sehen war und im Hintergrund eine dilettantische Darstellung von Big Ben, dessen Uhr Mitternacht anzeigte.
Tim konnte sich zunächst auf all das keinen Reim machen, bis ein Junge in ungefähr seinem Alter aus dem Lagerraum kam. Im Gegensatz zu Tim wirkte er außerordentlich selbstsicher. Er ging entschlossen über die Bühne, lehnte sich ans Kulissenfenster und zündete sich eine Zigarette an. Er war von Kopf bis Fuß in Grün gekleidet, mit Schnabelschuhen und einem Hut, der ihm keck auf dem Kopf saß. Er nickte Toy4You zum Gruß zu, während die beiden Erwachsenen im Lagerraum verschwanden, von wo Tim Gemurmel hörte und das Geräusch von Kleidern und Schuhen, die auf den Boden fielen. Während Toy4You noch an einem Stativ herumfummelte, auf das er eine ziemlich teuer aussehende Kamera geschraubt hatte, kamen der Mann und die Frau zurück auf die Bühne. Sie trug jetzt ein hochgeschlossenes weißes Nachthemd mit Rüschenkragen, und er war als Piratenkapitän verkleidet. Der Mann war der Einzige, der eine Maske trug, aber der Haken, der aus einem seiner Ärmel ragte, reichte aus, um auch noch dem letzten Deppen klarzumachen, wen er darstellte. Obwohl wahrscheinlich trotzdem noch einige Volldeppen übrig blieben, die sich nicht mal fragten, was Käpt’n Hook in einem viktorianischen Kinderzimmer zu suchen hatte und weshalb er nicht da war, wo er hingehörte, nämlich auf ein Segelschiff in Nimmerland.
Tim schaute zu Toy4You hinüber und fragte sich, welche Rolle ihm wohl zugedacht war. Dann entdeckte er auf einem der beiden leeren Betten ein Nachthemd und eine runde Nickelbrille, offenbar sollte er Peter Pans älteren Bruder spielen.
Das Ganze kam Tim reichlich bescheuert vor, andererseits war er auch ein bisschen erleichtert. Als er den Film mit dem letzten Abendmahl und den mit Jesus im Garten Gethsemane gesehen hatte, war er davon ausgegangen, dass auch diesmal irgendetwas total Blasphemisches vorgesehen war, auch wenn er sich nicht hatte vorstellen können, was. Ein bisschen hatte er sich Sorgen gemacht, dass im falschen Moment womöglich seine christliche Erziehung durchkommen würde und er nicht in der Lage wäre, den Regieanweisungen Folge zu leisten, obwohl ihm das Thema des Films eigentlich piepegal war.
Aber er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Als Wendy und
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