Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
Aber zuerst die Klamotten. Er kannte einen Oxfam-Laden im Zentrum, da würde er schon irgendeine Hose und einen Pullover finden. Auf keinen Fall würde er sich etwas Neues kaufen, das wäre reine Geldverschwendung. Ab morgen würde er sowieso keine Kleider mehr brauchen.
Bei Oxfam erstand er eine Cordhose. Sie war am Hintern etwas abgescheuert, doch sie passte, und das reichte ihm. Dazu kaufte er sich noch einen Rollkragenpullover, mehr brauchte er nicht, denn Schuhe, Socken und einen Anorak hatte er ja schon. Er hatte reichlich Geld übrig für eine Mahlzeit, aber er würde sich nur ein Sandwich kaufen, vielleicht noch eine Tüte Chips und eine Dose Cola. Den Rest würde er in einen Umschlag stecken und Gracie schicken. Er würde ihr eine Karte schreiben und ihr raten, vor allem auf sich selbst aufzupassen, denn niemand anders würde sich um sie kümmern, egal wie nett sie zu allen war. Dann würde er sie bitten, ihm das mit Bella zu verzeihen. Es tat ihm immer noch furchtbar leid, dass er die Puppe zerrissen hatte, und er konnte nur hoffen, dass die Frau in der Elektrowerkstatt sie wieder hinbekam.
Komisch, dachte Tim, als er in seinen neuen Sachen auf die Straße trat, es ging ihm schon viel besser. Er hatte eine Entscheidung getroffen und fühlte sich erleichtert. Unglaublich, wie lange er sich hundeelend gefühlt hatte, dabei hätte er nichts weiter zu tun brauchen, als eine Entscheidung zu fällen.
WINDERMERE – CUMBRIA
Auf der Polizeistation in Windermere mussten Manette und Freddie fast eine halbe Stunde warten. Sie hatten Tims Laptop mitgenommen und auch den Kartenausschnitt, den der Junge ausgedruckt hatte. Eigentlich hatten sie damit gerechnet, dass der Hinweis auf einen Kinderporno-Ring irgendjemandem Feuer unterm Hintern machen würde, aber das war nicht der Fall gewesen. Man hatte sie Platz nehmen lassen wie im Wartezimmer eines Arztes, und mit jeder Minute, die verstrich, wurde Manette nervöser.
»Es wird alles gut«, murmelte Freddie mehr als einmal. Er hielt ihre Hand und streichelte sie immer wieder, so wie er es zu Anfang ihrer Beziehung getan hatte. »Wir kriegen das schon hin.«
»Fragt sich nur, was das ist«, sagte Manette. »Womöglich ist es schon längst passiert. Oder es passiert, während wir hier sitzen und warten. Vielleicht ist er … vielleicht haben sie … Niamh ist an allem schuld.«
»Es bringt doch nichts, einen Schuldigen zu suchen«, sagte Freddie leise. »Das hilft uns nicht dabei, den Jungen zu finden.«
Als man sie endlich zu einem Polizisten vorließ, schaltete Freddie den Laptop ein und führte dem Constable den E-Mail-Verkehr zwischen Tim und Toy4You vor sowie die Fotos und Filme, die der Mann dem Jungen geschickt hatte. Ganz Gentleman sorgte Freddie dafür, dass Manette die Filme nicht sehen konnte, aber am Gesicht des Constable konnte sie ablesen, dass sie tatsächlich so schlimm waren, wie Freddie sie beschrieben hatte.
Der Polizist nahm den Telefonhörer ab und gab drei Ziffern ein. Dann sagte er: »Connie, ich habe hier einen Laptop, den müssen Sie sich unbedingt ansehen … Alles klar.« Er legte auf und sagte zu Freddie und Manette: »Fünf Minuten.«
»Wer ist Connie?«, fragte Manette.
»Superintendent Connie Calva«, sagte der Polizist. »Die Chefin der Sitte. Haben Sie sonst noch was?«
Manette fiel der Kartenausschnitt ein. Sie nahm ihn aus ihrer Tasche und gab ihn dem Constable. »Das lag auf Tims Schreibtisch. Freddie meinte, wir sollten es mitbringen. Ich weiß nicht, wie nützlich es ist … Ich meine, wir wissen nicht, wo genau das ist.«
»Ich dachte, Sie hätten vielleicht jemanden hier, der die Straßen wiedererkennt«, sagte Freddie. »Es ist ein vergrößerter Kartenausschnitt. Für jemanden, der sich mit Stadtplänen im Internet besser auskennt als ich, ist es vielleicht ganz leicht rauszufinden, um welchen Ort es sich handelt.«
Der Constable nahm zu Manettes großer Verwunderung eine Lupe aus seiner Schreibtischschublade. Wie Sherlock Holmes, dachte sie. Er hielt sie über den Kartenausschnitt, um die Straßennamen besser lesen zu können. »So was lassen wir meistens in Barrow machen. Da haben wir einen forensischen Computerspezialisten, der … Ah. Moment. Ich glaube, das ist ziemlich einfach.«
Er blickte auf, als eine Frau in Jeans, kniehohen Lederstiefeln und kariertem Jackett hereinkam, die Freddie und Manette für Superintendent Calva hielten. Sie nickte den beiden zum Gruß zu und fragte: »Was haben Sie für mich,
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