Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
eher für eine vierköpfige Familie geeignet als für das, was Manette vorhatte, aber Zelte kaufte man in der Regel nicht im Herbst, und sie hatte sich mit dem zufriedengeben müssen, was im Angebot war. Als sie gerade dabei war, die diversen Heringe und Schnüre zu sortieren, hörte sie Tim ums Haus kommen. »Ah, da bist du ja«, sagte sie. »Möchtest du ein Häppchen essen, ehe wir anfangen?«
Er schüttelte den Kopf. Sein Blick wanderte vom Zelt zu Manette und dann zum See. »Wozu willst du das denn aufbauen?«, fragte er.
»Ach, das ist nur zum Üben«, antwortete sie. »Wenn wir den Dreh erst mal raushaben, fahren wir zum Scout Scar rauf.«
»Und was machen wir da?«
»Na, zelten natürlich. Was denn sonst? Deine Mutter hat mir erzählt, dass du neuerdings da oben wandern gehst, und da ich auch für mein Leben gern in den Bergen wandere, dachte ich, wir könnten mal zusammen losziehen, wenn du fit genug bist.«
»Du gehst doch gar nicht in den Bergen wandern.«
»Hast du eine Ahnung. Ich treibe jede Menge Sport. Und Freddie möchte nicht, dass ich am Straßenrand entlangjogge. Er hat Angst, dass ich irgendwann überfahren werde. Also los, worauf warten wir noch? Willst du wirklich nichts essen? Vanillekekse? Jaffa Cakes? Eine Banane? Toast mit Marmite?«
»Ich hab Nein gesagt!«, fauchte er. »Außerdem hab ich dir gesagt, dass ich ’ne Verabredung hab.«
»Wo?«
»Es ist wichtig. Ich hab versprochen, dass ich komme.«
»Wo?«
»Windermere.«
» Windermere ? Mit wem zum Teufel triffst du dich denn in Windermere? Weiß deine Mutter davon?« Sie stand auf. »Was ist los, Tim? Hast du irgendwas vor, wovon du lieber die Finger lassen solltest?«
»Was soll das denn heißen?«
»Das weißt du ganz genau. Drogen, Alkohol, irgendwas Unsinniges, das …«
»Nein! Hör zu, ich muss dahin. Wirklich !«
Sie hörte die Verzweiflung in seiner Stimme, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was der Grund dafür war. Alles, was ihr als Erklärung einfiel, beunruhigte sie. Aber in seinen Augen lag etwas Gequältes, etwas, das sie um Hilfe anflehte. Sie sagte: »Ich kann dich da nicht hinbringen, ohne vorher mit deiner Mutter zu sprechen.« Sie ging in Richtung Haus. »Ich werde sie anrufen und …«
»Nein!«
»Warum nicht? Tim, was ist los?«
»Das interessiert die doch sowieso nicht. Sie weiß nichts davon. Es spielt keine Rolle. Wenn du sie anrufst … Scheiße, Scheiße, Scheiße !« Er trampelte über das ausgebreitete Zelt und ging zum Steg hinunter. Dort lag ein Boot, doch er stieg nicht ein, sondern ließ sich auf die Planken fallen und verbarg das Gesicht in den Händen.
Manette sah, dass er weinte. Es brach ihr das Herz. Sie ging zu ihm und hockte sich neben ihn. »Tim, ich weiß, dass du es im Moment schwer hast. Dass das alles ganz schlimm für dich ist. Aber das geht vorbei. Das verspreche ich dir. Es geht vorbei, weil …«
»Du weißt überhaupt nichts!« Er sprang auf und schubste sie so heftig, dass sie umfiel. »Du weißt einen Scheißdreck!« Er trat auf sie ein. Ein stechender Schmerz fuhr ihr in die Niere. Sie wollte seinen Namen rufen, aber ehe sie dazu kam, trat er wieder zu.
3. November
LAKE WINDERMERE – CUMBRIA
Lynley traf am Nachmittag in Ireleth Hall ein. Vor die Wahl gestellt, entweder zu fliegen, mit dem Auto oder mit dem Zug zu fahren, hatte er sich trotz der Länge der Strecke für das Auto entschieden und den Tag tief in Gedanken versunken in seinem Healey Elliott verbracht.
Er war am Abend zuvor nicht mit Isabelle zusammen gewesen. Sie hatte ihn eingeladen, und er wäre gern zu ihr gefahren, aber er war zu dem Schluss gekommen, dass es besser für sie beide war, wenn er diesmal nicht zu ihr ging. Obwohl sie das Gegenteil beteuert hatte, wusste er, dass sie das Ziel und den Grund seiner Reise in Erfahrung bringen wollte, und er hatte nicht vor, sie darüber aufzuklären. Lynley wollte den Streit vermeiden, den das Gespräch unweigerlich ausgelöst hätte. Isabelle hatte in den Monaten, seit sie zusammen waren, ihren Alkoholkonsum radikal eingeschränkt, und er befürchtete, dass irgendetwas – wie zum Beispiel ein Krach mit ihm – sie wieder zur Flasche greifen lassen könnte.
Darling, ich hatte ja keine Ahnung, dass du Frauen gegenüber so ein Feigling geworden bist , hätte Helen dazu gesagt. Aber so wie er das sah, hatte es nichts mit Feigheit zu tun, sondern mit Lebenserfahrung. Darüber und über sich und Isabelle hatte er fast auf dem ganzen Weg nach Cumbria
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