Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
durchzudringen. Ich hoffe, dass Sie da mehr Glück haben. Kommen Sie. Hier entlang.«
Das Treppenhaus, dessen Wände mit Landschaftsaquarellen geschmückt waren, befand sich im Wehrturm. Sie stiegen ein Stockwerk hoch und betraten einen Korridor, der ebenso wie die Eingangshalle mit Eichenpaneelen getäfelt war, allerdings ohne die großen Fenster. Nur durch ein schmales Bleiglasfenster am Ende des Korridors fiel ein Lichtstreifen, in dem Staubflöckchen tanzten, als wären sie glücklich, der Gefangenschaft in dem persischen Läufer entkommen zu sein.
Sie betraten ein geräumiges Zimmer mit einem Erkerfenster, in dessen Laibung eine Bank eingebaut war. Fairclough führte Lynley an dieses Fenster. »Windermere«, sagte er überflüssigerweise.
Wie Lynley vermutet hatte, lag die Westseite des Hauses zum See hin. Das Gelände war in Terrassen angelegt. Die zwei oberen bestanden aus Rasenflächen, während die unterste, die direkt an den See grenzte, mit Kies bedeckt war. Dort standen verwitterte Tische, Stühle und Liegen. Weit entfernt im Nordosten ragte eine Halbinsel in den See, Rawlinson Nab, wie Fairclough Lynley erklärte. Etwas näher lag die winzige, von ein paar Eschen bewachsene Insel Grass Holme, die im Wasser zu treiben schien, und weiter draußen stach die Insel Grubbins Point wie ein Fingerknöchel aus dem Wasser.
»Wie schön, hier zu wohnen«, bemerkte Lynley. »Außer im Sommer vielleicht, denn ich könnte mir vorstellen, dass die Gegend dann von Urlaubern überlaufen ist.« Er wusste, dass Cumbria und ganz besonders der Lake District eins der beliebtesten Urlaubsziele Englands waren. Von Juni bis September wurde hier bei jedem Wetter gewandert, geklettert und gezeltet.
»Ehrlich gesagt, wünschte ich, ich könnte öfters hier sein«, sagte Fairclough. »Bei all den Terminen in der Firma in Barrow, bei der Stiftung, mit meinen Anwälten in London und beim Verteidigungsministerium schaffe ich es höchstens einmal im Monat hierher.«
»Verteidigungsministerium?«
Fairclough verzog das Gesicht. »Mein Leben ist vollkommen unromantisch. Ich stelle eine Komposttoilette her, an der die interessiert sind. Wir führen schon seit Monaten Gespräche.«
»Und die Anwälte? Gibt es ein Problem, über das ich Bescheid wissen müsste? Etwas, das mit der Familie zu tun hat? Mit Ian Cresswell?«
»Nein, nein«, sagte Fairclough. »Es handelt sich um Patentanwälte. Dann sind da noch die Anwälte der Stiftung. Das alles hält mich ziemlich auf Trab. Um das Haus hier kümmert sich Valerie. Da sie hier aufgewachsen ist, macht sie das gern.«
»Klingt, als würden Sie sich nicht allzu oft sehen.«
Fairclough lächelte. »Das Geheimnis einer langen, glücklichen Ehe. Ein bisschen ungewöhnlich, aber es funktioniert schon sehr lange. Ah, da kommt Valerie.«
Lynley schaute in den Garten hinaus in der Annahme, Fairclough habe seine Frau dort erblickt, doch der zeigte auf ein Ruderboot auf dem See, das sich dem Ufer näherte. Aufgrund der Entfernung war nicht zu erkennen, ob die rudernde Person männlich oder weiblich war. »Sie fährt zum Bootshaus«, sagte Fairclough. »Am besten, wir gehen gleich hin, dann kann ich Sie einander vorstellen. Bei der Gelegenheit sehen Sie auch, wo Ian … Na ja, Sie wissen schon.«
Als sie ins Freie traten, fiel Lynley auf, dass das Bootshaus vom Haupthaus aus nicht zu sehen war. Vom Südflügel von Ireleth Hall aus führte ein gewundener Weg durch einen Garten. Mahonien, mit der Stechpalme verwandte Sträucher, standen dort so dicht, als wüchsen sie dort schon seit hundert Jahren. Nachdem sie ein Pappelwäldchen durchquert hatten, öffnete sich vor ihnen eine fächerartig angelegte Anlegestelle, neben der sich das Bootshaus erhob: eine verspielte Konstruktion, mit den für die Gegend typischen Schieferplatten, einem Spitzdach und einer einzigen Tür. Fenster gab es keine.
Die Tür stand offen, und Lynley folgte Fairclough hinein. Im Innern des Bootshauses verlief entlang der zum Land gelegenen Giebelwand und der beiden Seitenwände ein gemauerter Anleger, gegen den die Wellen des Sees plätscherten. Ein Motorboot, ein Skullboot und ein uraltes Kanu waren daran vertäut. Fairclough erklärte Lynley, das Skullboot habe Ian Cresswell gehört. Valerie Fairclough hatte das Bootshaus noch nicht erreicht, aber sie konnten sie bereits sehen.
»Ian hat das Skullboot zum Kentern gebracht, als er gestürzt ist«, sagte Fairclough. »Da vorne. Da, wo die beiden Steine fehlen.
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