Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
nachgedacht. Und er hatte sich gefragt, ob sie zusammenpassten.
Die Flügel des großen schmiedeeisernen Tors von Ireleth Hall standen weit offen, als hätte man ihn bereits erwartet. Lynley fuhr im Schatten von steinalten Eichen über den Weg, der sich zum Windermere-See hinunterwand, und hielt schließlich vor einem eindrucksvollen, von grauen Flechten überzogenen steinernen Gebäude mit zahlreichen Giebeln und einem mächtigen Wehrturm, ein Hinweis auf das hohe Alter zumindest eines Teils des Gebäudes. Dreizehntes Jahrhundert, dachte Lynley. Mehr als vierhundert Jahre älter als sein eigener Herrensitz in Cornwall.
Zu beiden Seiten des Gebäudes erstreckten sich weitläufige Rasenflächen mit vereinzelten Eichen, darunter einige der ältesten, die Lynley je gesehen hatte, und Platanen, unter denen Damwild graste.
Lynley stieg aus und atmete tief ein. Die Luft war noch feucht vom Regen. Der See war vom Haus verdeckt, aber von den nach Westen gelegenen Fenstern aus hatte man wahrscheinlich einen fantastischen Blick aufs Wasser und das gegenüberliegende Ufer.
»Da sind Sie ja.«
Lynley drehte sich um, als er Bernard Faircloughs Stimme hörte. Der Mann kam aus einem Garten an der Nordseite des Gebäudes auf ihn zu, der von einer Mauer eingegrenzt wurde. Er begrüßte Lynley, fuhr voller Bewunderung mit der Hand über einen Kotflügel des Healey Elliott, erkundigte sich höflich nach Baujahr und Leistung des Oldtimers und fragte, ob Lynley eine angenehme Fahrt gehabt habe. Nach dem Austausch der Nettigkeiten führte er Lynley ins Haus. Sie betraten eine riesige, eichengetäfelte Eingangshalle, an deren Wänden blankpolierte Brustschilde alter Rüstungen hingen. Ein Feuer brannte in einem offenen Kamin, vor dem zwei Sofas einander gegenüberstanden. Über dem Haus schien eine tiefe Stille zu liegen, die nur vom Knistern des Feuers und dem Ticken einer Standuhr gestört wurde.
Fairclough sprach so leise, als befänden sie sich in einer Kirche oder als fürchtete er, dass jemand mithören könnte, obwohl sie allein waren, soweit Lynley das beurteilen konnte. »Ich musste Valerie mitteilen, warum Sie hier sind«, sagte er. »Wir haben keine Geheimnisse voreinander – wir sind seit mehr als vierzig Jahren verheiratet, und im Übrigen kann ich ihr sowieso nichts vormachen. Sie ist also im Bilde. Sie wird mitspielen, auch wenn sie nicht gerade begeistert davon ist, dass ich diese Sache ins Rollen gebracht habe. Aber sie versteht mich … So gut wie eine Mutter es eben verstehen kann, wenn es um ihr eigenes Kind geht.« Fairclough rückte seine Hornbrille zurecht und überlegte. »Aber sie ist die Einzige, die eingeweiht ist. Für alle anderen sind Sie einfach ein Mitglied aus dem Twins Club, der für ein paar Tage hier zu Besuch ist. Einige wissen über die Sache mit Ihrer Frau Bescheid. Das macht das Ganze … äh … glaubwürdiger. Ich hoffe, Sie haben damit kein Problem?«
Er wirkte nervös. Lynley fragte sich, warum. Weil er hier war? Weil er Polizist war? Oder weil zu befürchten stand, dass er bei seinen Nachforschungen auf etwas Peinliches stieß? Wahrscheinlich kamen alle drei Möglichkeiten in Frage. Auf jeden Fall machte Faircloughs Nervosität ihn neugierig. »Über Helens Tod wurde in allen Zeitungen berichtet«, sagte er. »Ich kann also kaum etwas dran ändern, dass die Umstände ihres Todes allgemein bekannt sind.«
»Gut, gut.« Fairclough rieb sich die Hände, wie um zu sagen: Packen wir’s an. Er lächelte. »Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer und führe Sie kurz durchs Haus. Für heute Abend habe ich ein Abendessen im kleinen Kreis geplant, nur für uns vier, und morgen können Sie dann vielleicht … Was auch immer Sie vorhaben.«
»Uns vier?«
»Unsere Tochter Mignon wird auch dabei sein. Sie wohnt nicht hier im Haus, denn in ihrem Alter braucht eine Frau ihre eigenen vier Wände. Aber sie wohnt ganz in der Nähe, und sie ist alleinstehend, und da Sie Witwer sind, dachten wir …«
Wenigstens besaß Fairclough den Anstand, in Verlegenheit zu geraten, dachte Lynley.
»… das würde Ihrer Anwesenheit noch etwas mehr Glaubwürdigkeit verleihen. Ich habe mit Mignon nicht direkt über die Sache gesprochen, könnte mir jedoch vorstellen, dass sie Ihnen gegenüber gesprächiger ist, wenn Sie … ihr ein bisschen Interesse entgegenbringen.«
»Glauben Sie, sie hat etwas zu verbergen?«, fragte Lynley.
»Sie ist mir ein Rätsel«, antwortete Fairclough. »Mir ist es noch nie gelungen, bis zu ihr
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