Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
ihren Rucksäcken trugen, aus, als hätten sie riesige Buckel. Tim ging an ihnen vorbei Richtung Geschäftszentrum, wohin die Touristen sich nicht verirrten, weil sie dort nichts zu suchen hatten.
Tim dagegen hatte einen guten Grund, dort hinzugehen, und der hieß Shots! . Es handelte sich um ein Fotolabor, wie er bei seinem einzigen Besuch in Windermere herausgefunden hatte. Der Laden hatte sich darauf spezialisiert, Landschaftsaufnahmen von Profi-Fotografen, die zu jeder Jahreszeit in den Lake District kamen, in Postergröße zu drucken.
Im Schaufenster waren Kostproben dessen, was Shots! zu bieten hatte. Im Laden selbst hingen Porträtfotos an den Wänden, in einem Regal hinter dem Tresen waren Digitalkameras aufgereiht, und in einer Ecke stand eine Vitrine mit antiken Kameras. Ein Mann kam aus dem Zimmer hinter dem Tresen, als Tim eintrat. Der Mann trug einen weißen Laborkittel mit dem gestickten Logo von Shots! und einem Namensschild auf der linken Brust. Als ihre Blicke sich begegneten, entfernte der Mann hastig das Namensschild von seinem Kittel und steckte es in die Tasche.
Nicht zum ersten Mal dachte Tim, wie normal Toy4You aussah. Ganz anders als man erwarten würde, mit ordentlich frisiertem braunen Haar, rosigen Wangen und Nickelbrille. Er hatte ein angenehmes Lächeln, das er sofort aufsetzte. Aber er sagte zu Tim: »Das ist ein schlechter Zeitpunkt.«
»Ich hab dir ’ne SMS geschickt«, sagte Tim. »Du hast nicht geantwortet.«
»Ich hab keine SMS von dir bekommen«, antwortete Toy4You. »Bist du sicher, dass du sie an die richtige Adresse geschickt hast?« Dabei schaute er Tim direkt in die Augen, und deswegen wusste Tim, dass er log, denn er hatte es früher genauso gemacht, bis er kapiert hatte, wie verräterisch es war, jemanden so anzustieren.
Tim sagte: »Warum hast du mir nicht geantwortet? Wir hatten eine Abmachung. Wir haben eine Abmachung. Ich hab meinen Teil eingehalten. Du nicht.«
Der Mann warf einen Blick zur Tür. Er hoffte wohl, dass ein Kunde reinkam und er das Gespräch beenden konnte, denn er wollte genauso wenig wie Tim, dass jemand mitbekam, was sie miteinander zu bereden hatten. Aber es kam keiner, er würde also reden müssen, denn sonst würde er schon sehen, was Tim hier im Laden anstellte – zum Beispiel die Vitrine mit den antiken Kameras umwerfen.
»Ich hab gesagt …«
»Das, was du willst, ist zu riskant«, fiel Toy4You ihm ins Wort. »Ich habe darüber nachgedacht. Es geht einfach nicht.«
Tim spürte, wie die blanke Wut in ihm hochstieg. Ihm wurde so heiß, als würde er von innen verbrennen, und er atmete schnell und heftig, weil er nicht wusste, wie er sonst dagegen ankommen sollte. »Wir haben eine verdammte Abmachung . Meinst du etwa, das hätte ich vergessen?« Er ballte die Fäuste und schaute sich um. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich tun kann, wenn du die Abmachung nicht einhältst?«
Toy4You zog eine Schublade am Ende des Tresens auf. Tim erstarrte, denn er dachte, er würde eine Pistole herausholen, so würde es jedenfalls im Kino gehen. Stattdessen nahm er eine Schachtel Zigaretten aus der Schublade. Zündete sich eine an. Musterte Tim ziemlich lange. Schließlich sagte er: »Also gut. Wenn du es unbedingt willst. Aber dann brauche ich mehr von dir, als du mir schon gegeben hast. Nur so lohnt es sich für mich. Risiko gegen Risiko.«
Tim öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus. Er hatte schon alles getan. Alles . Und jetzt sollte er noch mehr tun? Er sagte das Einzige, was ihm einfiel: »Du hast es mir versprochen.«
Toy4You verzog das Gesicht wie einer, der eine vollgeschissene Windel auf dem Fahrersitz seines Autos entdeckt. »Was faselst du da von wegen ›du hast es mir versprochen‹? Sind wir hier im Kindergarten, oder was? Du gibst mir deinen Schokoriegel, dafür lass ich dich mit meinem Dreirad fahren? Aber dann ess ich den Schokoriegel auf, und du kuckst in die Röhre?«
»Wir haben eine Abmachung«, sagte Tim. »Du warst einverstanden. Das ist unfair.«
Toy4You nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und schaute Tim dabei mit zusammengekniffenen Augen an. Er sagte: »Ich hab’s mir anders überlegt. Das kommt vor. Das Risiko ist mir zu hoch. Wenn du unbedingt willst, dass es passiert, mach’s doch selbst.«
Tim sah, wie ein roter Vorhang zwischen ihm und Toy4You fiel. Er wusste, was das bedeutete: Er musste handeln, und Toy4You würde nicht die Polizei rufen, um ihn davon abzuhalten.
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