Glauben Sie noch an die Liebe

müssen Sie nur einmal in einen Fahrstuhl steigen, um zu spüren, wie sich Stimmungen in Sekunden durch Umstände und Umstehende verändern. Gruppendruck geht sogar bis hin zum Körpergewicht. Ein dünner Mensch, der von vielen Dicken umgeben ist, passt sich an und wird ebenfalls dicker, obwohl er sich nicht bewusst dazu entscheidet. Umgekehrt genauso.
    Haben Sie dem Gruppendruck, in einer Partnerschaft zu leben, auch nachgegeben?
    Ich bin glücklich liiert, aber nicht, weil ich damit einer gesellschaftlichen Norm entsprechen will, sondern weil die Liebe etwas Schönes ist.
    Manche Menschen empfinden die Liebe bisweilen auch als sehr schmerzhaft. Wann ist die Liebe schön?
    Schön ist die Liebe, solange sie erwidert wird. In einem gewissen Alter kommt es aber häufig zu Frustrationen. Männer erleben ihren hormonellen Höhepunkt zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Jahren. Der Körper wird dann mit Testosteron überschwemmt. Bei Frauen entwickelt sich die Freude an der Körperlichkeit oft erst ein bisschen später, just dann, wenn der Hormonschub der Männer schon wieder nachlässt. Männer und Frauen leben in entwicklungsbiologischer Hinsicht bisweilen ein wenig aneinander vorbei.
    Dann ist wahres Glück offenbar nur in einem gewissen Zeitfenster möglich?
    Zum Glück nicht. Ein reges Sexualleben ist keine Frage des Alters, sondern der Dauer der Beziehung. Zwei Fünfzigjährige, die sich erst zwei Jahre kennen, haben im Durchschnitt mehr Sex als zwei Dreißigjährige, die schon zehn Jahre zusammen sind. Den meisten Menschen geht es so, dass sie entweder vertraut miteinander oder scharf aufeinander sind. Wenig Sex bedeutet für viele nicht, eine schlechte Beziehung zu führen. Im Gegenteil – man muss sich nicht ständig seine Attraktivität auf körperlicher Ebene beweisen, wenn es auf anderen Ebenen stimmt. Es gibt ja noch andere Formen des Glücklichseins.
    Welche denn?
    Glück ist die Zeit, in der man die Zeit vergisst. Das kann ich Ihnen zeigen, wenn Sie sich in einen Magnetresonanztomografen legen. Wahre Verzückung zeigt sich in einer Deaktivierung der Großhirnrinde. Wir hören endlich mal auf zu grübeln und sind voll und ganz im Moment, im Flow, leben den Augenblick. Und in diese Zustände kommt man auf vielen verschiedenen Wegen: von Meditation und Stille, über Musik und Tanz und vor allem gemeinsames Singen, bis hin zu allen Formen der Ekstase, bei denen der Kopf keine Rolle spielt.
    Man sollte in der Liebe also auf sein Bauchgefühl hören?
    Das kommt darauf an. Das Bauchgefühl steigt ja nicht wirklich aus dem Bauch auf. Es ist eine Form von gespeichertem Wissen, die uns aber nicht bewusst ist. Wenn Ihr Bauchgefühl Ihnen sagt: »Diese Frau ist die Richtige«, dann berücksichtigt Ihr Gehirn die vielen Erfahrungen, die Sie schon gemacht haben. Aber wenn all Ihre Freunde sagen, dass sie überhaupt nicht zusammenpassen, würde ich das ernst nehmen. In emotionalen Dingen kommt man oft zu besseren Entscheidungen, wenn man auch eine Außenperspektive einnimmt. Das eigene Bauchgefühl kann trügen.
    Wie in Partnerbörsen im Internet: Dort entscheiden Tabellen und Algorithmen darüber, wer der Traumpartner ist. Ist das die Außenperspektive, die Sie meinen?
    Na ja. Solche Tabellen helfen sicher, zu prüfen, ob man viele Gemeinsamkeiten mit jemanden hat. Gleich und gleich gesellt sich eben gern. Aber so banale Dinge, wie die Frage, ob wir den anderen gerne riechen, lassen sich natürlich nur testen, wenn man sich real »beschnuppern« kann. Unser Geruchssinn nimmt dabei mehr wahr, als uns bewusst ist. Es gab einmal eine Studie, in der Forscher in einer U-Bahn ein paar Bänke mit männlichem Schweiß besprühten. Die Frauen, die den Waggon betraten, setzten sich genau auf diese Bänke, ohne dass ihnen der Geruch bewusst war.
    Und wir dachten, die Liebe ginge durch den Magen!
    Ja! Aber wohin geht die Liebe, wenn sie durch den Magen durch ist? (Lacht.) Der ganze Hokuspokus mit den Algorithmen von Partnerbörsen, die einem den idealen Partner ausrechnen wollen, hat einen blinden Fleck: die Dynamik, die man erst miteinander entwickelt. Ich weiß doch vor einer Beziehung gar nicht, welche von meinen Saiten ein Partner zum Schwingen bringt, welche meiner Talente und Macken durch ihn aktiviert werden und welche weniger ins Gewicht fallen. »Ich liebe dich« ist recht kurz gegriffen, denn es bedeutet eigentlich: »Ich liebe dich nicht nur für das, was du bist, sondern auch für das, was ich bin, wenn ich mit dir