Glauben Sie noch an die Liebe

Deutschlandtournee »Liebesbeweise«, in der er seinem Publikum das Liebesleben aus medizinischer Sicht erklärt. Hirschhausen steht auf, schleicht zum Frühstücksbuffet, belädt seinen Teller mit Früchten und Müsli und setzt sich wieder an seinen Tisch am Fenster, von dem aus er die Segelboote auf der Alster sehen kann. »Sie wollten mit mir über die Liebe sprechen?«, fragt er in seinem berühmten, leicht nuschelnden Tonfall.
    Herr von Hirschhausen, was können Sie uns als Mediziner über die Liebe sagen?
    Ach, die Liebe, ein Thema so unerschöpflich wie ein Teller Brühe für jemanden, der nur eine Gabel hat. Und haben wir nicht alle nur eine Gabel?
    Was sind denn die Symptome eines Verliebten?
    Psychiatrisch betrachtet sind frisch Verliebte in ihrem Denken bisweilen sehr eingeengt. »Ah, guck mal«, sagen Verliebte manchmal, »da fährt ein rotes Auto. Mein Schatz fährt auch ein rotes Auto. Das beweist, dass er gerade an mich denkt!« Es macht zwar einen großen Unterschied, ob man solche Sätze zu einem Arzt in einer Nervenklinik oder zu seiner besten Freundin sagt, aber beide werden im Zweifelsfall nichts gegen diese Störung unternehmen, denn sie geht von allein vorbei. Das hat die Natur so eingerichtet. Sonst käme man zu nichts mehr.
    Da kommt die Liebe jetzt aber nicht gut weg.
    (Lacht.) Aber wenn es doch stimmt! Der Satz »Ich bin verrückt nach dir« ist im Grunde nicht ganz falsch. Diese Phase dauert im Schnitt ein halbes bis zwei Jahre. Das Gesunde an der Liebe ist weniger der dramatische Dopaminrausch der Ekstase, sondern eher das stille Oxytocinglück des Zusammengehörens.
    Dann drängt sich die Frage auf, was für einen Menschen schlimmer ist – der kalte Entzug von Drogen oder die abrupte Erkenntnis, nicht geliebt zu werden?
    Bei vielen Patienten, wenn wir sie so nennen wollen, sind die Symptome sicher vergleichbar mit denen eines milden Drogenentzugs. Schlafstörungen bis hin zu Zeichen der Depression – es gibt starke Zusammenhänge zwischen der psychologischen Disposition eines Menschen und seiner körperlichen Gesundheit.
    Welche sind das?
    Wer sich geliebt fühlt, hat weniger Herzinfarkte, eine bessere Wundheilung und bessere Blutdruckwerte. Die härteste Währung, die Mediziner kennen, ist die Lebenserwartung. Obwohl die Frage ja eigentlich ist: Leben verheiratete Menschen länger, oder kommt es ihnen nur so vor?
    Wir hatten von einer Studie gehört, nach der die Menschen tatsächlich länger leben, wenn sie verheiratet sind.
    Ja, für die Männer lohnt sich die Ehe jedenfalls. Sie leben länger, wenn sie einen Partner haben. Die höchste Lebenserwartung haben übrigens Menschen, die sich für andere einsetzen.
    Kann man an einem gebrochenen Herzen sterben?
    Ja, man kennt das aus Märchen. Es ist aber inzwischen eine anerkannte Diagnose: das broken heart syndrome . Zuerst wurde es in Japan beschrieben, inzwischen sind jedoch weltweit einige Fälle erfasst, in denen durch massive Stresshormone das Herz die gleichen Symptome aufweist wie bei einem Herzinfarkt, obwohl die Herzkranzgefäße eigentlich gesund sind. Denken Sie an alte Ehepaare, bei denen die Frau zuerst stirbt. Was tut der Mann? Er stirbt hinterher. Umgekehrt ist das übrigens nicht so eindeutig, was den Männern zu denken geben sollte.
    Die Liebe wird ihrem dramatischen Ruf also gerecht: Sie entscheidet über Leben und Tod.
    Richtig. Der für Sie gefährlichste Mensch auf Erden ist Ihr Partner. Genauer gesagt: Ihr Expartner. Statistisch gesehen ist die Chance, von jemandem umgebracht zu werden, der einem nahesteht, viel höher als von einem Unbekannten. Die dunkelsten Ecken unserer Seele werden in Trennungssituationen offenbar. Bei Männern kommt es häufiger als bei Frauen zu der Kurzschlussreaktion, andere verletzen zu wollen, weil sie selbst verletzt wurden. Schätzungen zufolge geht die Hälfte aller Tötungsdelikte an Frauen auf das Konto von einem Ehemann, Freund oder Geliebten – da bekommt das Wort »Ex« eine furchtbar konkrete Bedeutung.
    Wenn wir die Liebe aus medizinischer Sicht betrachten, ist sie dann etwas Ansteckendes?
    Ja, so wie Lachen ansteckend ist. Auch andere positive wie negative Gefühle übertragen sich in Millisekunden über Spiegelneurone und Imitation. Was ich inzwischen viel spannender finde als das Auf und Ab der Paarbeziehung sind sozialpsychologische Phänomene. Da gibt es viele absurde »Ansteckungen«. Menschen verändern sich selten durch Einsicht, aber sofort durch Gruppeneffekte. Dafür