Glauben Sie noch an die Liebe
Ehebrüche wahrscheinlich nicht zur Scheidung führen würden, wenn die Gesellschaft uns nicht beibringen würde, damit so umzugehen. Vielleicht wären viele Paare ohne die Einmischung der Gesellschaft langfristig glücklicher. Vielleicht. Ich weiß das alles nicht. Ich weiß nur, dass die Absolutheitsansprüche immer sehr problematisch sind.
Michel Friedman und das Fremdgehen. Auch er hat es getan, und auch seine Frau Bärbel Schäfer hat ihm verziehen. Indem Friedman, der Philosoph, zu bedenken gibt, dass Paare trotz eines Ehebruchs glücklich sein können, wenn sie dem Drängen der Gesellschaft, sich zu trennen, widerstehen, erzählt er seine eigene Geschichte, ohne sie beim Namen zu nennen. Denn das war die Bedingung für das Gespräch mit einem, dessen Liebesleben die Boulevardpresse einst über Wochen beschäftigte: keine Fragen nach seinem Privatleben, keine Gefühlsduselei, kein Boulevard.
Friedman sitzt in seinem Anwaltsbüro, in Hemd und Stoffhose, die Beine übereinandergeschlagen, und doziert über die Liebe wie ein Dozent der Philosophie über den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant. Und vielleicht ist das die Schüchternheit, die er sich selbst zuschreibt, der verständliche Versuch, die eigenen Gefühle in geordnete Bahnen des Denkens zu überführen. Was Friedman über den Ehebruch gesagt hat, macht uns neugierig, und wir wollen ihn in der ihm eigenen, philosophischen Art nach seinem Gewissen fragen.
Herr Friedman, der Schwur, den Eheleute ablegen, impliziert, dass sie frei wählen können, ob sie sich an ihn halten. Die Liebe scheint nur dann etwas wert zu sein, wenn man so tut, als hätte man sich frei entschieden – wenn man dem Partner gegenüber also begründen kann, warum man ausgerechnet ihn liebt. Stimmen Sie zu?
Nein, das ist ein romantischer Ansatz. Warum reicht es nicht einfach, zu sagen: »Ich bin verrückt nach dir! Ich möchte mit dir zusammen sein.« Ist das nicht eigentlich die absoluteste und ehrlichste Liebeserklärung? Das ist, was man in Frankreich unter Amour fou versteht.
Amour fou?
Das ist der französische Begriff für die leidenschaftliche, verrückte Liebe. Die bedeutet überhaupt nicht: »Ich will ein ganzes Leben mit dir zusammen sein, eine Familie gründen, und hoffentlich bekommen wir später Enkelkinder.« Amour fou bedeutet nur: »Jetzt, heute und alles in diesem Augenblick, und nur mit dir.«
Ihre Doktorarbeit handelt von der Frage, wie sich der Determinismus auf unser Strafrecht auswirkt. Wie ist das in der Liebe, wenn jemand nicht frei entscheiden kann, wen er liebt, dafür aber verantwortlich gemacht wird?
Die Frage, ob jemand einen freien Willen hat, hat keinen Einfluss darauf, ob ich ihn zur Verantwortung ziehen darf. Jemanden zur Verantwortung zu ziehen, ist ein Akt der Gesellschaft gegenüber dem Individuum. Ein Beispiel: Nehmen wir an, wir als Dreiergruppe würden uns darauf einigen, dass niemand mehr mit Kugelschreiber schreibt, sondern nur noch mit Filzstift, und nehmen wir an, wir hätten uns untereinander geeinigt, dass derjenige, der mit einem Kugelschreiber schreibt, fünf Euro in die Kasse werfen muss. In dem Fall ist das völlig unabhängig davon, ob Sie mir erzählen, Sie könnten aber nicht anders, weil Sie determiniert seien. Sie haben es getan, und Sie sind das Lebewesen, das wir dafür zur Verantwortung ziehen.
Aber das ist doch ungerecht, wenn ich nicht anders kann!
Ist es denn gerechter, jemanden zu verurteilen, der hätte anders können, der aber am Ende gar nicht anders kann? Niemand kann anders wollen, als er will. Das ist der Kernsatz. Ich kann nicht nicht wollen, was ich will. Wir sagen immer: Ich will es nicht mehr machen. Aber ich kann es nicht nicht wollen. Also tue ich es.
Zum Beispiel?
Nehmen wir an, der eine Partner in einer Beziehung würde vom anderen grundsätzlich verlangen, er solle den Müll runtertragen. Wenn die Handlung »Müll runtertragen« bei diesem Partner aber negativ belegt ist, wird er es nicht tun wollen , es aber tun müssen . Also tut er es und redet sich immer ein, dass er es auch tun will. Mit ziemlicher Sicherheit wird das Thema Müll früher oder später die Beziehung vergiften.
Soll man also immer nur tun, worauf man Lust hat?
Ich kann Ihnen nur raten: Seien Sie autonom! Sie werden nicht glücklicher, wenn Sie Ihre Bedürfnisse unterdrücken und dafür von der Gesellschaft hoch geschätzt werden. Es wird Sie glücklicher machen, Ihre Bedürfnisse zu leben, auch wenn die Gesellschaft Sie
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