Glauben Sie noch an die Liebe
Das sind alles Dinge, die wichtig sind. Irgendwann gibt es sicher den Punkt, dass Vater und Mutter mit den Nerven am Ende sind. Dann muss man sich sagen: »Jetzt gehe ich in ein anderes Zimmer und mache die Tür zu. Du schreist zwar, aber ich muss schlafen.« Kinder brauchen es auch, dass jemand sagt: »Ruhe! Jetzt wird geschlafen!« Es ist völlig legitim, da auf sein Bauchgefühl zu hören.
Es heißt, die Liebe zu den eigenen Kindern sei bedingungslos. Stimmt das überhaupt?
Ich glaube, keine Liebe ist völlig bedingungslos. Sonst hätte sie etwas von Selbstaufgabe. Die Liebe zu Kindern ist natürlich anders als jede andere Form der Beziehung. Stellen Sie sich nur mal eine Sekunde lang vor, Ihnen würde jemand Ihr Kind wegnehmen. Sie würden Amok laufen. Das ist das Wunderbare an der Eltern-Kind-Liebe, dass man sagt: »Komme, was wolle, ich werde dich lieben.«
Haben Sie die Liebe Ihrer Eltern auch strapaziert?
Das haben wir alle. Ich erinnere mich, dass einer meiner Brüder, der keinen Führerschein hatte, jeden Abend fragte, ob er das Auto vom Fußweg in die Garage fahren dürfe. Meine Eltern haben das immer erlaubt, bis er eines Tages mit der Polizei vor der Tür stand. Das Auto hatte einen Totalschaden, mein Bruder war an einem Baum gelandet und hatte eine große Platzwunde am Kopf. Statt vom Fußweg in die Garage zu fahren, hatte er einen Umweg über drei Dörfer gemacht, alles ohne Führerschein, und die Kontrolle verloren. Das war für meinen Vater natürlich heikel, er war damals Ministerpräsident von Niedersachsen. Ich erinnere mich noch, wie die Polizisten vor meinem Vater standen. Wir alle schauten ihn an und warteten ab, wie er reagieren würde. Sein erster Satz war: »Gott sei Dank ist dir nichts passiert! Das war zwar gequirlter Mist, den du da gemacht hast, aber Gott sei Dank, du lebst noch!« Und dann: »Jetzt haben wir ein Problem, und vor allem du hast ein Problem mit der Polizei.« Das, finde ich, muss eine Grundhaltung der Eltern sein. Jugendliche, die beim Klauen erwischt werden, die schwanger werden oder ein Auto zu Schrott fahren, dürfen nie denken: »Lieber gehe ich in den Fluss oder springe aus dem Fenster, weil ich solche Angst vor meinen Eltern habe.« Sondern sie müssen denken: »Unterm Strich helfen mir meine Eltern, egal, was ich Blödes anstelle.«
Wurde Ihr Bruder dafür bestraft?
Nein. Mein Vater sagte nur irgendwann: »Dieses Auto ziehe ich dir vom Erbe ab.« Für meinen Bruder waren die Platzwunde, die genäht werden musste, und das Entsetzen eine schlimmere Strafe. Er war danach der zivilste, geordnetste und denkbar beste Fahranfänger von allen Geschwistern.
Vielleicht lieben fast alle Eltern ihre Kinder, aber manche Eltern sind darüber hinaus mit ihren Kindern befreundet. Kennen Sie das?
Ich bin nicht der Kumpel meiner Kinder. Das sind ihre gleichaltrigen Freunde. Aber das schließt nicht aus, dass wir viele gute Gespräche wie Freunde führen. Diese Gespräche hätten mir auch Freude gemacht, wenn es nicht meine Kinder gewesen wären. Ich freue mich einfach über spannende Gespräche mit aufgeweckten Menschen.
Was ist mit dem Zorn auf die Kinder, der Enttäuschung? Gibt es das, oder ist alles rosarot?
Natürlich gibt es das. Meine Kinder können mich an den Rand meiner Fassung bringen und richtig zornig machen.
Und das mitunter mit Absicht.
O ja. Es ist ja auch wichtig, Zorn, Enttäuschung, Trauer und Glück mitzuteilen. Eltern dürfen solche Gefühle haben, Kinder genauso. Und beide dürfen das gegenüber dem anderen äußern. Kinder müssen ja auch lernen, wann sie zu weit gegangen sind.
Suchen Kinder bewusst solche Grenzen in der Provokation?
Ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen große Lust hatte, meine Eltern so lange zu provozieren, bis sie wütend wurden, weil ich diese Grenze spüren wollte.
Was haben Sie gemacht?
Es waren einfach freche Worte. Ich wusste, dass ich zu weit ging. Wenn mein Vater dann explodierte, war Schluss. Die Kunst für Eltern von pubertierenden Kindern besteht darin, diese Grenze immer weiter zu verschieben. Einem vierzehn Jahre alten Kind müssen Sie sagen, wann es zu Hause sein soll. Einem sechzehn Jahre alten Kind müssen Sie sagen: »Wein in Maßen ja, Schnaps nein.« Und wenn die Kinder volljährig sind, dürfen Sie im Grunde gar nichts mehr sagen. Ich tu’s natürlich trotzdem, und die Kinder machen mit dem Rat, was sie wollen.
Sind Sie Ihren Kindern manchmal peinlich?
Natürlich kenne ich das. »Mama, wenn
Weitere Kostenlose Bücher